Regenbogen-Welt (German Edition)
tränenden Augen zusammen und bemühte sich, nicht in den Himmel zu
sehen. Senkte stur den Blick zu Boden.
Während sie so vor sich hin stapfte, dachte sie wieder an Iman,
die ihr gesagt hatte, dass nicht alle Menschen zum Schamanen taugten. Und dass
die Geister entschieden, wer Vermittler zwischen Erde und Geisterwelt wurde.
Iman hatte Saha eindringlich gebeten, ihr wandelndes Wesen unter den Einfluss
der Geister zu stellen. Sich deren Eigenart zu verinnerlichen. In jedem Baum,
Fluss oder Stein eine Seele zu sehen und Respekt davor zu haben.
Uhura flatterte plötzlich über Sahas Kopf und schreckte sie aus
ihren Gedanken auf. Die Eule trug wieder ihre eigenbrötlerische Art zur Schau.
War erneut in tiefes Schweigen versunken. In ihre ureigene Welt.
Doch Saha interessierte die reale viel mehr. Die Vierte Welt
schien überwiegend nur aus Gestein zu bestehen. War auf ein Minimum reduziert.
Sie war nicht so verspielt, nicht so farbenprächtig wie die vorherigen. War von
bestechender Gradlinigkeit und übersichtlichen Formen geprägt. Vereinzelt waren
zwar Bäume auf den felsigen Anhöhen zu entdecken, doch sie bildeten die
Ausnahme. Auch wenn die Landschaft karg war, wirkte sie dennoch nicht trist.
Das musste wohl an dem grellgelben Himmelslicht liegen.
„Mann, ist das hier eintönig!”, beschwerte sich Dahsani.
„Es ist wirklich schwierig, sich hier zu orientieren”, bestätigte
Ishtar. Seinem schweifenden Blick entging fast nichts. Herbes Klima prägte die
Vierte Welt. Weitreichende Gebirgsregionen beherbergten Steinformationen, die
menschlichen Figuren, Gesichter, Fantasiegestalten und Tieren ähnelten. Die
Vegetation war spärlich. Zwergkiefern und niedrige Wacholderbüsche verbanden
sich mit vereinzelten Gras- und Kaktusfamilien. Wildkatzen und Füchse huschten
an ihnen vorbei. Ebenso Kaninchen und Erdhörnchen.
Ishtar fragte sich, wo sie alle Unterschlupf fanden. Aber ein
weiterer Blick auf die mystisch verschachtelten Berglabyrinthe beantwortete
diese Frage.
Für Ishtar war diese Welt gerade wegen ihrer Gradlinigkeit so
überwältigend. Schroffes Gestein prägte die Schönheit des Landes.
Erosionskräfte hatten diesem Stück der Regenbogen-Welt ihren Charakter
verliehen. Ishtar wusste immer noch nicht, woher es rührte, dass er eine solche
Verbundenheit mit dieser Welt empfand. Jeder Muskel seines neuen Körpers war
angespannt. Und wenn er Saha anblickte, machten sich Gefühle in ihm breit, die
er nicht kannte und die er nicht einzuordnen wusste. Und er hütete sich,
darüber auch nur ein Sterbenswörtchen verlauten zu lassen.
Ishtar hätte sich gewundert, wenn er gewusst hätte, dass es noch
jemandem aus ihrem Kreis so erging. Erstaunlich war, dass es weder Saha noch
Barb war, sondern Maiitsoh!
Der Große Wolf fühlte ein Drängen und Sehnen in sich, das er noch
nie gespürt hatte. Aber er hatte sich gut im Griff. Nichts verriet ihn. Keine
Geste oder Äußerung. Nur das eisige Funkeln seiner Augen gab Aufschluss über
sein Innenleben. Maiitsoh war ebenso beeindruckt von der Gebirgswelt wie Ishtar
und fragte sich ununterbrochen, welche Geister sich darin verbargen. Und was ihn
in diese Welt zog.
Dahsani war wieder einmal der Einzige, der der Landschaft nicht
die geringste Aufmerksamkeit zollte. Er stapfte, ohne auch nur eine Sekunde
links und rechts zu sehen, vor sich hin. Dabei redete er ununterbrochen auf
Shash und Hazee, die jetzt immer in der Stirnlocke des Bären thronte, ein. Von
ihrem natürlichen Hochsitz aus war sie auch die Erste, die das Dorf und den
Mondberg erspähte. Ihre kleinen Klauenhändchen wühlten sich hervor und
fuchtelten aufgeregt durch die Luft.
„Da hinten ist das Dorf ... und der Berg!”, schrie sie aus
Leibeskräften. „Seht nur. Das Dorf ist höchstens drei bis vier Tagesmärsche
entfernt.”
Hazee sollte Recht behalten. Es waren genau drei Tagesmärsche,
bis sie das Dorf erreichten. Und wiederum nur wenige Tage mehr, bis Saha und
ihre Freunde wussten, warum die Vierte Welt die Vollständige Welt genannt
wurde. In dem Dorf trafen sie auf die Heiligen Leute. Wesen, denen das Leiden
der Sterblichkeit fremd war, die dem Pfad des Regenbogens folgten. Sie waren als
Einzige in der Lage, ihren Astralleib auf Reisen zu schicken. Konnten im
Universum wandeln und Blicke hinunter auf die Erde werfen. Bis sie diese Stufe
höchster Spiritualität erreicht hatten, war es ein langer, beschwerlicher Weg
gewesen.
Einige hatten sich selbst kasteit. Als eindrucksvollste
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