Regenbogen-Welt (German Edition)
aus. Es war irgendwie weiblich und männlich
zugleich. Nicht zuzuordnen. Eine unbekannte Größe. Sanft wie ein Windzug drang
es in ihren schlafenden Körper und erforschte behutsam ihren Geist. Saha spürte
die imaginären Finger, die über jeden einzelnen ihrer Gedankenbausteine strich
und davon einige auslöschte. Es waren Erinnerungen an die Erste Welt. Dafür
schuf es neue Charakterzüge in ihr. Sie waren alt. Uralt. Und sie waren
irgendwie andersartig.
Als sie nach einigen Stunden wieder erwachte, zogen die
Morgennebel schon von dannen. Saha wusste nicht, was geschehen war. Aber sie
fühlte, sie hatte nicht nur geschlafen oder gar geträumt. Nein, etwas war mit
ihr geschehen. Irgendjemand hatte sich ihrer bemächtigt. Nur wer und warum?
„Was ist los?”, wisperte Barb, die wieder einmal spürte, dass mit
Saha etwas nicht in Ordnung war.
„Während ich geschlafen habe, ist irgendetwas ... irgend jemand in meinen Geist gedrungen ...”, stotterte Saha konfus.
Barb riss die Augen auf. Verkniff sich aber einen schnodderigen
Kommentar. „Wie soll ich das denn verstehen?”
„Ich kann es nicht erklären, denn ich verstehe es ja selbst
nicht.” Saha fühlte, wie sich die neuen Wesenszüge mit den alten vermischten.
Und plötzlich verspürte sie den Drang, sich aufrechtzuhalten. Sie setzte sich
auf die Hinterbeine und blickte in den Himmel. Streckte die Chitinarme von
sich.
Betete wen an?
Plötzlich fragte sie sich, warum sie Gottesanbeterin hieß. Und
wer Gott eigentlich war. War er der Große Geist, von dem alle Wesen, die sie
bisher kennen gelernt hatte, als höchste Gottheit sprachen und den sie
verehrten? Blödsinn, dachte sie. Sie hatte sich bisher nie sonderlich viele
Gedanken um Götter und so einen Kram gemacht und würde jetzt bestimmt nicht
damit anfangen.
Saha hatte ohnehin keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Ein
Tumult entstand. Uhura, Ishtar und Shirkan redeten aufgeregt aufeinander ein.
Saha und Barb wechselten einen raschen Blick.
„Was ist denn mit euch los?”, rief in dem Augenblick Hazee und
rieb sich verschlafen die Augen. Verwundert musterte sie die aufgeregte Gruppe.
Selbst Kasur lispelte um einiges temperamentvoller als sonst.
„Das möchte ich auch zu gerne wissen!”, rief nun auch Saha. „Kann
uns mal einer von euch verraten, was hier los ist?”
Shirkan drehte sich herum und deutete auf den zweigeteilten
Baumstamm. „To neinili hat uns, ohne es zu wollen, ein Geschenk gemacht. Damit
werden wir den Abhang spielend bewältigen.”
Saha glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Wie sollte ein
gespaltener Baumstamm von Nutzen sein?
Shirkan verriet es wenige Sekunden später. „Wir setzen uns in
eine der Baumstammhälften und gleiten den Abhang hinab.”
„Bist du von Sinnen?”, entfuhr es Barb.
Sie sprach damit Sahas Gedanken aus. Dass ausgerechnet Shirkan
den Vorschlag machte, erschütterte sie. Immerhin war er der Vernünftigste von
ihnen. „Willst du uns umbringen?”, fragte sie ihn vorwurfsvoll.
Er schüttelte heftig den Kopf. „Es ist die einzige Möglichkeit.
Und wir müssen schleunigst hier weg. Immerhin wissen wir nicht, ob To neinili
uns ein weiteres Mal so eindrucksvoll zeigt, dass wir seiner Macht schutzlos
ausgeliefert sind.”
„Das kann er da unten auch.” Saha deutete anklagend mit dem
Finger auf das bewaldete Tal unter ihnen. Ihr Rücken schmerzte. Sie hatte noch
nie so lange aufrecht gestanden.
„Das kann er”, bestätigte Ishtar. „Aber der Wald bietet uns
Schutz. In ihm sind wir halbwegs sicher.”
„Was sagst du dazu?”, wollte Saha wissen und wandte sich an
Uhura.
Die Eule grübelte eine Weile. „Es könnte gelingen.”
Sie hatten noch eine geschlagene Stunde gestritten, schließlich
waren sie übereingekommen, es zu versuchen und Shirkans Vorschlag in die Tat
umzusetzen. Shash konnte seine Kraft unter Beweis stellen und brach die wenigen
Zweige, die To neinilis Zorn standgehalten hatten, von der einen Hälfte des
Baumes ab.
„Gottlob hat er ganze Arbeit geleistet”, keuchte er und riss den
Teil des Stammes aus der letzten Verankerung. Die maroden Wurzeln gaben mit
einem knirschenden Laut nach. Es war ein alter, kranker Baum, der innen beinahe
hohl war und der allen, selbst Shash, Platz bot.
„Na los”, forderte er betont munter auf. „Worauf wartet ihr
noch?”
Shirkan kletterte als Erster hinein. Die Anderen folgten ihm und
klammerten sich schutzsuchend aneinander. Kasur schlängelte sich um sie. Bot
ihnen mit
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