Regenbogen-Welt (German Edition)
und Höhen säumten die
Küste. Umgeben von wilden, steilen Felsklippen lag sie vor ihnen. Ein Urgebirge
aus Schieferwänden schloss sie ein. Das Pflanzenkleid der Küste und der Täler
bestand aus immergrünen Bäumen. Schlanke Zypressen und knorrige Olivenbäume
bestimmten das Bild. Hier und da erspähte Saha einige Maulbeerbäume. Dann
wanderte ihr Blick die schuppigen Stämme vereinzelter Palmen hinauf. Erhaschte
sogar einen Exoten – den Baum der Sonnenbälle, dessen süße Früchte selbst durch
ihre orangegelben Schalen dufteten. Selbst auf dem Boden blühte es. Ginster,
Myrte, Thymian, Rosmarin und Lavendel verströmten ihren würzigen Duft.
Die Zweite Welt hatte ein ständig wechselndes Gesicht. Zu ihren
Füßen wundervolle Pracht und über ihnen die Gefahr des göttlichen Zorns, der
jederzeit wieder über sie hereinbrechen konnte. Das machte diese Welt aufregend
und abwechslungsreich. Aber auch gefährlich und uneinschätzbar. Trotzdem hätte
sich Saha nicht vorstellen können, noch einmal in der Ersten Welt zu leben. Und
das ging ihr nicht allein so. Auch ihre Freunde hatten die einstige Heimat aus
ihren Herzen verbannt.
Sie legten eine Rast ein. Alle, außer Saha, ließen sich nieder
und hielten ein Nickerchen. Die Gottesanbeterin schloss sich ihnen nicht an.
Sie war aufgewühlt. Das zweite Ich meldete sich wieder. Forderte sie
unmissverständlich auf, die Gegend zu erkunden. Saha erhob sich vorsichtig.
Vermied dabei jedes Geräusch, um die Anderen nicht zu wecken und um nicht ihre
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Gleichzeitig schalt sie sich eine einfältige
Närrin, aber sie kam gegen den fremden Befehlsgeber in ihrem Kopf nicht an.
Nachdem sie sich etliche Meter von dem Nachtlager entfernt hatte, hörte sie
eilige Schritte näherkommen und verfluchte die Idee, alleine durch die Gegend
zu laufen. Das hatte sie von ihrem eigenmächtigen Handeln!
Die Schritte wurden lauter. Sie folgten so kurz aufeinander, dass
sie unmöglich von einem Zweibeiner stammen konnten. Saha sah ihre Vermutung
bestätigt, als eine achtbeinige Spinnen-Frau mit beeindruckender Geschwindigkeit
auf sie zukam. Saha rutschte das Herz in die Magengrube. Sie wusste, wie
angriffslustig diese Art war. Und obendrein gefährlich. Doch die Spinnen-Frau
beachtete sie nicht. Sie rannte eindeutig vor etwas davon und an Saha vorbei.
Etwas großes Dunkles in der Luft verfolgte sie.
Es nahm nun auch Saha aufs Korn. Sie sah das Wesen im Sturzflug
auf sich zukommen. Mit knapper Not entkam sie den Klauen des geflügelten
Ungeheuers, indem sie sich kurzerhand zu Boden warf. Dicht neben die behaarten
Spinnenbeine. Das geflügelte Ungeheuer rauschte dicht über ihre Köpfe hinweg
und verfehlte sie nur um Haaresbreite. Es stoppte in der Luft, machte eine
Kehrtwendung und schoss erneut auf sie zu.
Der Himmel verdunkelte sich.
Saha schrie leise auf. Zu Tode erschrocken.
Die Spinnen-Frau musterte sie aus intelligent-wachen Augen. „Wir
müssen da rüber”, zischte sie und deutete mit einem der acht Beine auf die
Kakteengruppe, die sich rechts von ihnen erhob. „Dort kann er uns nicht
erwischen.”
„Wie heißt du überhaupt?”, fragte Saha wenige Minuten später, als
sie zwischen den Kakteen saßen.
„Azaa”, erwiderte die Spinnen-Frau wortkarg und machte damit
deutlich, dass sie nicht an einem Gespräch interessiert war. Ihr Blick wanderte
ständig zum Himmel. Und da war er wieder, der Schatten. Er flog immer und immer
wieder über sie hinweg. Der Vogel, der jenen unheilvollen Schatten warf,
spannte seine Schwingen und flog eine elegante Schleife. Dabei stieß er einen
heiseren Schrei aus.
„So ein Mist”, stieß Saha hervor.
„Keine Bange”, beruhigte Azaa sie, “er kann uns hier nichts
antun. Die Kakteen schützen uns. Ihre gefährlichen Stacheln erlauben es ihm
nicht, auf uns herabzustoßen.”
Sie behielt Recht. Der Bussard flog mit einem enttäuschten Schrei
davon. Azaa lachte schadenfroh. „Das wird ihm gar nicht gefallen. Jeeshoo
schätzt es nicht sehr, überlistet zu werden.”
„Jeeshoo heißt das Untier?”, fragte Saha. Erleichtert, dass der
Raubvogel fort war.
Azaa nickte. „Und er wird die Niederlage nicht so einfach
wegstecken. Dafür ist er zu eitel und boshaft. Er wird einen gemeinen Plan
aushecken.”
„Dann müssen wir sehen, dass wir hier wegkommen. Danke für deine
Hilfe”, sagte Saha hastig und wollte sich davonmachen.
Aber Azaa hielt sie zurück. „Moment mal. Wohin so eilig?”
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