Regenbogen-Welt (German Edition)
ihrem Körper zusätzlichen Schutz. Bildete somit einen lebenden
Schild. Mit der Schlange war während der Reise – ebenso wie mit den Anderen –
eine Wandlung vorgegangen. Sie war aufmerksamer, hilfsbereiter, ja,
freundlicher geworden.
Shash schob unter Ächzen und Stöhnen den Baumstamm bis an den
Abgrund und ein Stückchen darüber hinaus. Die Spitze neigte sich einige Male
bedrohlich nach vorn. Saha schloss die Augen und sprach das erste,
ernstgemeinte Gebet in ihrem Leben. Oder was sie dafür hielt. Der Stamm bewegte
sich tatsächlich wieder zurück in die Waagerechte. Saha dankte im Geiste dem
Gott, der sie erhört hatte. Unabhängig davon, welcher es auch war. Aber die
augenblickliche Bodenständigkeit verdankten sie keiner göttlichen Fügung,
sondern Shash, der als Letzter seinen schweren Körper in die Öffnung des
Stammes zwängte. Bevor Saha ihm etwas zurufen konnte, stieß er sich mit den
Vorderpfoten vom Boden ab und setzte damit den Stamm in Bewegung. Dieser senkte
sich erst im Zeitlupentempo, dann immer schneller nach vorn, bekam wieder
Bodenhaftung auf dem Gefälle und schoss in rasanter Fahrt abwärts.
Sie schrien.
Gleichzeitig.
Wie eine einzige Stimme in verschiedenen Höhen und Tiefen. Aber
dennoch ängstlich vereint. Der Fahrtwind verzerrte den Schrei gespenstisch.
Hazees Haare standen zu Berge. Barbs wehten in deren Gesicht. Tuc hingegen
zitterte wie Espenlaub. Der kleine Käfer klammerte sich mit letzter Kraft an
Kasurs Körper. Der Kopf der Schlange fuhr herum und legte sich beschützend vor
ihn. Presste ihn somit zwischen ihren zusammengerollten Leib. „Keine Angst,
Kleiner”, zischte sie beruhigend. „Du fällst schon nicht.”
Tuc gab einen erleichterten Laut von sich.
Die rasende Fahrt des Stammes wurde noch schneller. Falls das
überhaupt möglich war. Barb spürte, wie sich ihr Magen drehte und die Säure
darin gefährlich nach oben schoss. Sie dachte daran, dass sie noch nicht
sterben wollte. Dafür war sie noch zu jung. Und sie wollte noch so vieles
unternehmen. In ihr steckten abertausend kreative Ideen, die sie noch nicht
verwirklicht hatte. Barb war eine Künstlerin, wie sie im Buche stand. Sie
„arbeitete” nur aus dem Bauch heraus. War mit Herz und Seele dabei, aus allen
möglichen Naturalien, die ihr die Welt bot, Kunstwerke zu zaubern. Dabei ging
sie äußerst geschickt vor. Saha war ihr größter Fan. Auch wenn sie bedauerte,
dass Barb oftmals Kunstwerke aus unbeständigem Material schuf.
Der Baumstamm schoss dem Pinienwald mit mörderischer
Geschwindigkeit entgegen, erreichte den Fuß des Hügels und knallte mit einem
knirschenden Laut gegen einen Baum. Wieder schrien sie. Sie hatten es nur
Kasurs Körper zu verdanken, dass sie nicht alle im hohen Bogen hinausfielen.
Dafür schoss Shash über sie hinweg und blieb einige Meter vor ihnen liegen.
„Shash”, schrien Saha und Barb gleichzeitig. „Wir müssen ihm
helfen!”
In Windeseile kletterten sie alle aus dem Stamm. Oder was davon
übrig geblieben war. Der Aufprall hatte ihn auf halbe Länge zusammengepresst.
Shash lag immer noch regungslos auf dem Boden. Auf seiner Stirn klaffte eine
große Wunde.
„Du meine Güte, den Ärmsten hat es aber übel erwischt”, entfuhr
es Tuc, der auf Kopfhöhe vor seinem zotteligen Freund stand. „Was machen wir
nur?”
Uhura hüpfte neben ihn und betrachtete die Wunde ausgiebig. Nach
einer Weile hob sie den Kopf und sagte erleichtert. „Es ist nur eine
Fleischwunde. Sie blutet zwar stark, ist aber harmlos. Legt einige große
Blätter darauf und presst sie fest gegen seine Stirn. Das wird die Blutung
stoppen.”
Shash erholte sich erfreulich schnell. Das lag nicht so sehr an
dem wenig kunstvollen Verband, den ihm Saha und Hazee verpasst hatten, sondern
mehr an seiner Jugend und seiner guten Kondition. Und sofort, nachdem er die
Augen aufgeschlagen hatte und seine Benommenheit gewichen war, klagte er über
Hunger. Erleichtert lachten sie alle und stärkten sich, nachdem die Sorge um
den Bär gewichen war.
Sie aßen Wurzeln und Beeren und durchwanderten danach unbehelligt
den Pinienwald. Ließen ihn hinter sich und gingen die himmelblaue Küste
entlang. Uhura hatte ihnen einiges über sie erzählt. Saha fragte sich einmal
mehr, woher die Eule so viel wusste. Und zum ersten Mal ahnte sie die Antwort.
War auch Uhura nach dem Untergang der Erde von dem Großen Geist hinauf in die
Regenbogen-Welt geschickt worden?
Unberührtes Hinterland mit weiten Tälern
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