Regenbogen-Welt (German Edition)
festhalten.”
Maiitsoh sah sie von der Seite an. Saha war es längst
aufgefallen, dass der Große Wolf Barb immer sehr wohlgefällig betrachtete. Nur
der Freundin war das wohl bisher entgangen. Das war typisch. Saha schmunzelte
in sich hinein. Barbs zarte Erscheinung weckte seinen Beschützerinstinkt. Dabei
konnte sie sehr gut auf sich selbst aufpassen, aber unbewusst sandte sie immer
wieder diese Ich-brauche-eine-starke-Schulter-Signale aus. Bei Maiitsoh schienen
die Signale jedenfalls angekommen zu sein.
Ein lichter Sonnenstrahl fiel auf sie, veredelte ihr Gesicht.
Saha schloss die Augen. Sie wusste nicht viel über die Sonne, aber doch so
viel, dass ohne sie kein Wachstum möglich war, und dass sie Pflanzen und Tiere
Energie für ihre lebenswichtigen Stoffwechselvorgänge schenkte. Und Saha
wusste, dass die Sonne auch wichtig für ihr Wohlbefinden war. Sie war davon
noch abhängiger, als viele ihrer Freunde. Das Kind des Himmels schenkte ihr
natürlichen Kraftstoff für Lust, Laune und Leben.
Barb und Ishtar regten sich neben ihr. Saha öffnete die Augen
wieder. Der Sonnenstrahl richtete sich immer noch auf sie, umschloss sie, als
wolle er sie besonders willkommen heißen. Sie umarmen.
„Wir sollten dem Schloss einen kleinen Besuch abstatten. Ich habe
das Gefühl, als ob dort das Geheimnis schlummert, wie wir weiter in die Dritte
Welt kommen”, schlug Maiitsoh für seine Verhältnisse sanft vor. Sein Blick
ruhte jetzt abwechselnd auf Barb und Saha. Denn der Sonnenstrahl war von einer
Freundin zur anderen gewandert und leuchtete nun in Barbs Gesicht. Legte einen
warmen Ton auf deren Bronzehaut.
Du warst noch nie schöner, Schwester, dachte Saha und konnte sich
kaum von dem Anblick der Freundin losreißen.
„Lasst uns gehen.” Da war sie wieder. Maiitsohs Stimme. Sanft und
kehlig. Man musste ihr einfach folgen. Und Barb tat es beinahe
traumwandlerisch. Sie hörte nicht Sahas erstaunten Ausruf, achtete nicht
darauf, ob sich auch ihre Freunde Maiitsoh anschlossen. Sie war sowohl von
seiner Stimme gefesselt, als auch von dem Anblick des Schlosses. Leichtfüßig
schritt sie an den Freunden vorbei, umtanzt von gebündelten Sonnenstrahlen. In
ihren Ohren rauschte das Blut. Ein sicheres Zeichen für eine nahende Vision.
Dann sah sie sie. Nackte, tanzende Menschen, nur mit einem ledernen
Lendenschutz bekleidet. An den Armen bunte Bänder, die Vogelfedern zu Schwingen
vereinten. Die Gestalten tanzten um den goldenen Ball der Sonne. Reckten ihr
beschwörend die Schwingen-Arme entgegen. Zelebrierten den Sonnentanz. Hielten
zu Ehren des himmlischen Lebensspenders ihre religiöse Zeremonie ab. Sangen
dabei mystische Lieder und huldigten dem Kind des Himmels. Das Bild begann sich
zu drehen. Wurde schneller und schneller und verschwand ...
Barb taumelte.
Saha und Ishtar griffen instinktiv zu. „Das kommt davon, wenn man
träumend durch die Gegend läuft.” Ishtar lachte.
Wenn du wüsstest, durchzuckte es Barb, wenn du wüsstest!
Sie erreichten das Schloss nach zwei Tagesmärschen. Das
hoheitsvolle Gebäude machte einen unbewohnten Eindruck. Und als sie sich
vorsichtig über die Schwelle des Portals drängten, konnten sie tatsächlich kein
einziges Lebewesen entdecken. Saha betastete die Eiswände und fragte sich,
warum die Sonne sie nicht schmolz. Aber da waren noch sehr viel mehr Fragen in
ihr. Die wichtigste war, warum sie in der Zwischenwelt gelandet waren.
Ob sie in dem verlassenen Schloss die Antwort fanden?
Die Freunde durchforschten jeden Winkel des Eisbauwerks und
fanden nirgends ein Lebenszeichen. Dafür natürliche Schönheit, wohin sie
blickten. Sie schien durch jede einzelne Eisschicht zu atmen. Jeder Gegenstand,
ob Bett oder Fenstersims, war aus bläulichweißem Eis. Liebevoll bis in das
kleinste Detail und von göttlicher Hand modelliert. Azaa gab einen Laut von
sich, der zwischen Ergriffenheit und Hysterie schwankte. Sie lief wie ein
überzogener Kreisel durch die Räume des Schlosses, kehrte zurück zu den
Freunden, die in einem Saal an einer langen Tafel Platz genommen hatten. Die
Stühle mit hohen, kerzengeraden Rückenlehnen boten etwa zwei Dutzend Gästen
Platz. Shash blieb als Einziger stehen. Er befürchtete, dass die filigran
wirkenden Sitzflächen unter der Last seines Gewichtes zusammenbrechen würden.
„Und was machen wir nun?”, fragte Dahsani, der sich als Erster
auf einen der Stühle gequetscht hatte. Er ermüdete immer noch schnell. Seine
kurzen Beine trugen sein Gewicht
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