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Regenbogen-Welt (German Edition)

Regenbogen-Welt (German Edition)

Titel: Regenbogen-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisha Bionda
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geistiger
Verbundenheit.
    Barb hielt es nicht mehr auf der baumlosen Anhöhe. Sie musste
sich bewegen. Ihrer Unruhe Ausdruck verleihen. Sie ging los. Ziellos. Einfach
nur von ihrer Intuition gesteuert. Erstaunt nahm sie wahr, dass ihre Sinne
geschärft waren. Besonders ihr Gehörsinn. Sie vernahm das Zirpen der Grillen,
noch bevor diese ihre Schrillleisten aneinander rieben. Auch ihr Geruchs- und
Geschmackssinn nahmen zu. Und sie sah, obwohl es bereits dunkelte, so gut wie
bei Tag.
    Der an das Dorf grenzende Wald nahm sie auf wie eine
Heimkehrende. Wie ein Vater, der seine lange verschollene Tochter in die Arme
schloss. Er hieß sie mit einem Geflecht aus Licht und Schatten willkommen, das
grenzenlose Formenvielfalt auf sie herabregnen ließ: Spinnweben,
Schmetterlingsflügel und Vogelgefieder. Farben, die einem Luftstrom gleich
durch das Blätterdach flossen. Barb hatte das Gefühl, völlig eins mit dem Wald zu
werden. Und als sie eine kleine Lichtung erreichte, wusste sie, dass sie am
Ursprung ihrer Reise angekommen war.
    Hier war das Herz des Verlorenen Tales.
    Gesang lenkte ihre Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt der
Lichtung. Sie kannte die Stimme. Noch nicht lange. Aber doch irgendwie schon
die Dauer ihres Lebens. Auch wenn ihr das erst jetzt bewusst wurde.
    Es war Hiawathas Stimme!
    Barb schlich näher. Hielt nach dem roten Schamanen Ausschau. Sie
sah den Greis vor einem Feuer stehen. Er betete. Nach alter Sitte. Und Barb
wunderte sich längst nicht mehr, dass sie jedes Wort davon verstand.
    „Großer Geist”, murmelte Hiawatha. „Führe mich! Mich und die Neue
Rasse.”
    Die Sonne schickte sich an, ihre Umlaufbahn zu verlassen. Sie
tauchte die Welt in sanftes Licht. In weiten Kreisen näherte sich ein Adler
durch die weiße Wolkendecke. Er spannte majestätisch seine Flügel und flog
näher und näher an Hiawatha heran. Brach mit einem gewaltigen Schatten durch
das Dach aus Baumkronen.
    Hiawatha deutete eine demütige Verbeugung an, die nicht zu seiner
sonst so stolzen Haltung passte. „Ich danke dir, Großer Geist. Ich danke dir,
dass du mir den heiligen Boten geschickt hast.”
    Der Adler ließ sich elegant auf dem dicken Ast eines nahe
stehenden Baumes nieder. Sein weißgefiederter Kopf fuhr mit einer ruckartigen,
aber beherrschten Bewegung herum. Barb floss ein Schauer über den Rücken, als
sie den Blick des großen Vogels sah. Doch der beachtete sie nicht. Seine Augen
suchten Hiawatha. Fanden ihn und bannten seinen Blick. Sie verschmolzen
miteinander. Nichts regte sich. Barb nahm nicht einmal einen Wimpernschlag
wahr.
    Dann öffnete der Adler seinen kräftigen Schnabel und stieß einen
dunklen Laut aus. „Alter Mann, du hast mich gerufen?”, fragte er. Aber es hörte
sich mehr wie eine Feststellung an.
    Hiawatha nickte. „Ich brauche deine Hilfe.”
    „Ich weiß!”, erwiderte der Adler so ruhig und unbewegt, dass sich
Barb schon fragte, ob sie sich die Stimme des Vogels nur einbildete. Doch die
nächsten Worte fegten diesen Gedanken – wie Wind feine Staubkörner – weg.
    „Du sorgst dich um Saha und ihre Freunde.”
    Hiawatha nickte erneut. Barb hätte beinahe aufgeschrien, konnte
aber den Laut, der schon verführerisch ihre Kehle hinauf floss, noch im letzten
Moment unterdrücken. Woher wusste der Adler von ihnen? Woher kannte er ihre
Namen? Und wieso konnte er sprechen?
    „Sie wollen in die Fünfte Welt ... sie verwandeln sich ... sie
sind ...” Hiawatha verstummte, als der Adler ein kehliges Krächzen ertönten
ließ, das an ein amüsiertes Lachen erinnerte.
    „Sie sind noch lange nicht soweit, alter Mann! Sie sind noch wie
dumme Kinder!”
    Die letzten Worte stieß er verächtlich, mit Stahl in der Stimme,
hervor. Barb wäre am liebsten an den Baum gestürmt und hätte diesem arroganten
Schnösel gehörig die Meinung gesagt.
    Hiawathas Stimme hinderte sie jedoch daran. „Wie kann ich ihnen
helfen, zu verstehen? Wirklich zu verstehen!”
    Der Adler schlug einige Male mit seinen mächtigen Schwingen und
trippelte unruhig auf dem Ast hin und her. „Erzähle ihnen die unrühmliche
Geschichte des weißen und roten Volkes. Es gab viel Dummheit auf beiden
Seiten.” Er flog von dem Ast und stieg in die Lüfte. „Oder zeige es ihnen. Das
ist besser! Lass sie in die Vergangenheit blicken!”, rief er von oben herab.
    Dann schraubte er sich höher und höher in die Wolken und
verschwand darin.
    Barb sank auf das mächtige Wurzelwerk des Baumes, an den sie sich
gelehnt, nein, an den

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