Regency Reality-Show
wollte ich an diesem angebrochenen Vormittag unternehmen? Sehnsüchtig dachte ich an die weiten Felder, über die ich völlig vogelfrei mit Flora geritten war, während ich aus meinem Panoramafenster dem bunten Treiben auf den Strassen weit unten zusah.
Flora – wo war sie? Reflexartig griff ich nach dem Telefonhörer und hielt inne. Wen konnte ich anrufen? Die Leute vom Sender wüssten bestimmt wo meine geliebte Araberstute war. Ich musste mir die Nummer besorgen. Noch bevor ich meinen Gedankenfaden weiterspinnen konnte, meldete sich völlig unerwartet Frau Mastersons Stimme.
„Kann ich Sie mit jemandem v erbinden oder wünschen Sie sonst etwas, Frau Tobler?“
„Was – wie“, stotterte ich. „Ich habe doch gar nicht gewählt!“
„Wenn Sie den Hörer abheben, müssen Sie die Null drücken für eine freie Leitung nach draussen, sonst werden Sie automatisch mit mir verbunden.“ klärte sie mich freundlich auf.
„Entschuldigen Sie bitte, das wusste ich nicht.“ Nach kurzem Überlegen entschied ich mich, dass Frau Masterson die beste Hilfe war, die ich hier kriegen konnte – abgesehen davon, dass sie die einzige war, die ich hier kannte – also fragte ich sie nach der Telefonnummer des Senders.
„Kein Problem. Ich habe die Nummer in den vergangenen Wochen für Herrn Tobler so oft gewählt, dass ich sie gespeichert habe. Darf ich Sie direkt verbinden?“
Das ging ja einfach. Erleichtert wartete ich, dass jemand vom Sender sich am andern Ende meldete und war etwas erstaunt, direkt mit dem Direktorium des Senders verbunden zu sein. Dumm von mir, dies nicht vorausgesehen zu haben. Ein Mann von Grossvaters Einfluss gab sich nicht mit Telefonisten anderer Firmen ab.
Ohne Vorwarnung platzte ich heraus: „Wo ist Flora!“
„Hallo, wer sind Sie und wie sind Sie an diese Nummer gekommen.“ polterte es vom anderen Ende.
„Hier spricht Lea Tobler und ich suche mein Pferd, auf dem ich in Ihrer Sendung geritten bin.“
„Ach Frau Tobler“, tönte es nun viel freundlicher. „Wie geht es Ihnen? Haben Sie sich vollständig erholt?“
„Danke – es geht so. Es ginge mir besser, wenn ich wüsste, wo mein Pferd ist“, grummelte ich.
„Über solche Details weiss ich leider im Moment nicht Bescheid, aber ich bringe es gerne für Sie in Erfahrung. Kann ich Sie bei diesem Anschluss zurückrufen?“
„Ja, ich bin im Moment bei Tobler Inc. Aber lassen Sie sich nicht zu viel Zeit. Wenn es um meine Stute geht, habe ich weder Geduld noch Verständnis für Ausflüchte.“ Bevor der verdatterte Mann am anderen Ende eine Rechtfertigung hervor bröseln konnte, legte ich auf und hoffte, genügend Eindruck auf ihn gemacht zu haben, damit er mich umgehend mit Flora zusammenführte.
Was konnte ich jetzt tun? Sollte ich Frau Masterson nach dem Geschäftsbericht fragen und mir ein erstes Bild über dieses Riesenunternehmen verschaffen? Fast hätte ich laut aufgelacht über meine eigenen Gedanken – als ob ich einen Geschäftsbericht verstehen könnte! Für so etwas hatte ich mich noch nie interessiert und würde mir alles erst von Grossvater erklären lassen müssen. Wie also konnte ich die Zeit bis zum erwarteten Anruf mit guten Nachrichten von Flora überbrücken?
Das Internet – genau, das war es. Die Regency Reality-Show sollte eigentlich immer noch laufen, also würden auch die Life-Cams noch aufgeschaltet sein, von denen ich gehört hatte. Davon wollte ich mir ein eigenes Bild machen. Nach kurzem Suchen fand ich ohne Hilfe heraus, wie sich der PC einschalten liess und stieg ins Internet ein.
Ich war völlig perplex über die vielen tausend Internetadressen die von Google aufgelistet wurden, als ich die Reality-Show als Suchwort eingab. Hatten Menschen rund um den Globus nichts anderes zu tun, als sich über eine solch unwichtige Sendung zu unterhalten? Die offizielle Internetadresse des Senders war eine der ersten und mit gemischten Gefühlen klickte ich sie an.
Schlagzeilen füllten die rechte Hälfte des Bildschirms aus. Die aktuellsten Geschehnisse wurden dort aufgeführt. Nein, bei näherem Betrachten entdeckte ich drei Schlagzeilen mit Gertruds Namen – also doch nicht das Aktuellste. Keinesfalls würde ich den Fehler machen, mir eine Szene von mir anzusehen oder Texte über mich zu lesen. Das tat ich mir ganz bestimmt nicht an. Also suchte ich auf der linken Bildschirmhälfte nach dem Link. der mich zu den Life-Cams führte.
Es gingen sechs gleichgrosse Fenster auf, zweimal je drei
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