Regency Reality-Show
Ausritt hatte er sich unzählige Male angesehen, aber es war das Einzige, das ihn im Moment noch aufrecht hielt. Er vermisste sie so sehr.
„Geh schlafen, Ewan. Du kannst Deine Augen ja kaum offen halten. Als halbe Leiche nützt Du niemandem.“ meinte Grant mit einem vielsagenden Blick auf Leas Gesicht, das in einem eingefrorenen Standbild als Grossaufnahme zu sehen war.
***
Es tat gut, wieder frische Luft um die Nasenspitze zu fühlen. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und sog gierig die feuchte Morgenluft ein.
„Vielen Dank, Margreth“ wandte ich mich zum Abschied an die Schwester, die mich mit dem Rollstuhl bis zum Ausgang gerollt hatte. Dann bestieg ich die Limousine, die Grossvater wie versprochen für mich geschickt hatte. Es war, als würde eine grosse Last von mir genommen. Zu wissen, dass ich nicht mehr ganz alleine war auf der Welt und es jemanden gab, der sich um mich sorgte war ein himmlisches Gefühl.
Gespannt betrachtete ich die Häuser, die vor meinem Wagenfenster an mir vorbeizogen. Einige waren so hoch, dass ich mich ganz nah an die Scheibe drücken musste, um bis zum obersten Stockwerk zu sehen. Vor einem dieser besonders hohen Wolkenkratzer hielten wir an und noch bevor ich mich von meiner Überraschung erholt hatte, öffnete mir der Fahrer die Türe und wies den Weg zum Empfang, wo ein älterer Herr in Uniform meine Ankunft erwartet hatte.
„Guten Morgen, Frau Tobler. Es ist mir eine grosse Ehre, Sie hier begrüssen zu dürfen. Bitte gehen Sie durch bis zum hintersten Lift. Dieser fährt Sie direkt in die Chefetage.“
Edel, das Ganze hier. Aber die freundliche Begrüssung nahm der mit Granit ausgelegten Halle etwas die Unnahbarkeit. Wenig später stand ich an einem weiteren Empfangstresen. Im Gegensatz zu unten war hier alles in warmen Brauntönen gehalten. Dunkle schwere Möbel verliehen diesem Bereich Würde und der flauschige Teppich gewährleistete, dass die Chefs in ihren Büros vom Lärm der Aussenwelt abgeschirmt blieben.
„Herzlich Willkommen, Frau Tobler“ wurde ich auch hier sofort erkannt. Dieses Mal kam die Begrüssung von einer elegant gekleideten Dame mittleren Alters. Ihre grau melierten Haare waren stylisch kurz geschnitten und die moosgrüne Bluse passte zu ihrem ungewöhnlichen Teint.
„Danke“ mit einem kurzen Blick auf ihr Namenschild fügte ich hinzu: „Frau Masterson“.
„Herr Tobler ist gerade in einem Meeting. Darf ich Sie in Ihr Büro geleiten?“
Ich hatte ein eigenes Büro – in der Chefetage? Das Einzige, was ich als ‚Erfahrung‘ in einem Bürojob mitbrachte war eine kleine Nebenrolle, in der ich eine Telefonistin gemimt hatte und das zählte ja wohl kaum.
Die nette Frau Masterson schien meine Verdatterung nicht zu bemerken oder überspielte es in ihrer professionellen Art und gab mir klar das Gefühl, dass ich hierher gehörte. Sie bot mir Erfrischungen an und ich lächelte ihr dankbar zu, bevor sie die Tür zu meinem Büro hinter sich schloss.
Hinter meinem drehbaren Lederstuhl, der weicher aussah als mein eigenes Bett zuhause, blieb ich bewundernd stehen und liess die üppige Umgebung auf mich wirken. Links war ein riesiges Fenster. Die Scheibe umspannte fast die gesamte Wand. Direkt gegenüber waren Wandschränke aus Mahagoni, demselben Holz wie auch alle anderen Möbel hier drin. Hinter mir war ein grosses offenes Regal mit viel leerem Platz. Einige dicke Wälzer standen aber schon drin. Ich legte meinen Kopf schief, um die Titel zu lesen als die Türe aufging.
„Guten Morgen, meine Liebe. Wie fühlst Du Dich?“ begrüsste Grossvater mich strahlend und umarmte mich.
„Danke. Ich fühle mich nicht schlecht, nur gerade etwas überwältigt.“
Grossvater legte seinen Kopf in den Nacken und liess ein tiefes kehliges Lachen ertönen, das so ansteckend wirkte, dass ich mit einstimmte.
„Was soll ich hier? Ich habe keine Ahnung von einem Bürojob, das habe ich doch schon erwähnt, oder?“
„Ich bin gerade in einem grossen Meeting. Am liebsten würde ich Dich mitnehmen und Dich allen dort vorstellen. Aber ich will Dich nicht gleich am ersten Morgen überwältigen und in die Flucht schlagen. Wir werden später eine kleine Bürotour unternehmen. Falls Du etwas brauchst hilft Dir Frau Masterson gerne.“ gut gelaunt schritt er zurück in den Konferenzraum.
***
Wie der Big-Boss persönlich kam ich mir vor, als ich mich im grossen Sessel drehte und dabei einen fröhlichen Jauchzer nicht unterdrücken konnte. Was
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