Regency Reality-Show
nebeneinander. Im ersten Fenster war der Frühstücksraum zu sehen, wo Lizzi mit den Zwillingsschwestern, Donald und seiner Grossmutter gemütlich frühstückten. Als ich das Bild anklickte, ging es weiter auf, dass es den ganzen Bildschirm ausfüllte. Nun konnte ich auch die Stimmen der Schauspieler hören: „Was machen wir heute?“ – „Ich weiss nicht, Mutter hat das Programm noch nicht bekannt gegeben. Ich glaube sie fühlt sich nicht wohl. Wahrscheinlich hat sie sich wieder hingelegt.“ – „Wollen wir – “
Hier würgte ich Donald mitten im Satz ab und schloss das Fenster, um das nächste zu vergrössern. Henry tränkte gerade eine braune Mähre. Ich konnte hören, die das Wasser im Brunnen plätscherte von dem sie trank. – Unglaublich, diese Tonqualität! Ich hatte nie ein Mikrofon gesehen, geschweige denn eines mit mir herumtragen müssen. Wie machten die das bloss? Oh nein, damit war klar, dass alles ohne Einschränkung gefilmt und veröffentlicht wurde, auch damals schon, als ich noch dabei war. Erschrocken stellte ich den Computer ab und starrte lange auf den schwarzen Bildschirm, bis ich vom Klingeln des Telefons aus meiner Trance aufschreckte.
„Wir haben gute und schlechte Neuigkeiten für Sie.“
„Machen Sie es nicht spannend“, gab ich ungeduldig zurück. „Sagen Sie mir einfach, wo ich Flora abholen kann und Sie sind mich los.“ für heute jedenfalls, fügte ich in Gedanken hinzu, denn mein Grossvater wollte ja seine gesamte Rechtsabteilung auf den Sender hetzen.
„Ich konnte in Erfahrung bringen, wo Ihr Pferd ist.“ hier machte er eine längere Pause und ich fing an zu befürchten, dass nun ein ‚Aber‘ kam – und prompt: „Aber es scheint uns ein kleiner Fehler unterlaufen zu sein.“ Er holte tief Luft. Die Neuigkeit, die er mir zu überbringen hatte musste ja wirklich schlimm sein, wenn er sich so zierte.
„Sie haben in der Sendung doch den Earl of Ayrshire geheiratet. Nun, jemand scheint Show und Wirklichkeit durcheinandergebracht zu haben und hat ihr Pferd an den echten Earl of Ayrshire überführt.“
„Was? Einen Earl of Ayrshire gibt es tatsächlich?“ ich hatte gedacht, dass all die Titel und Namen frei erfunden waren.
„Das wusste ich auch nicht, aber es scheint, dass eine grosse Grafschaft in Schottland immer noch vom Earl of Ayrshire geführt wird. Ich kann Ihnen die Adresse von den Stallungen geben, wo Ihr Pferd jetzt steht.“ Als ich zu überrascht von seinen Enthüllungen nicht sofort antwortete, nannte er mir die Adresse und völlig verdattert hängte ich auf.
***
Die Kantine war alles andere als was ich von einer Mitarbeitermensa erwartet hatte. Schon rein die Tatsache, dass vom Portier bis zum Konzernchef sich alle bei der Essensausgabe hintereinander anstellten fand ich faszinierend. Aber vom Raum selber war ich überwältigt. Hier konnte man sich während der Mittagspause wirklich erholen und Energie tanken. Gemütliche Tischnischen der hinteren Wand entlang gewährten ein gewisses Mass an Privatsphäre, während ein Tisch ganz in der Mitte des Raumes bestimmt Platz für zwanzig Personen bot, sollte sich eine Abteilung entschliessen, beisammen sitzen zu wollen. Tische in unterschiedlicher Grösse waren scheinbar konzeptlos im ganzen Saal verstreut. Sie waren aus unterschiedlichen Materialien gefertigt und auch Stühle gab es in allen Farben und Formen. Dieses bunt zusammengewürfelte Mobiliar versprühte unheimlich viel Charme und Gemütlichkeit. Pflanzen, die bis zur Decke reichten unterstrichen diesen Eindruck noch.
Mit voll beladenem Tablett steuerte Ferdinand Tobler einen kleinen Zweiertisch an, an dem ein einfacher Hocker aus Holz und ein plüschiger Lehnsessel standen. Verblüfft bemerkte ich wie Grossvater auf dem alten Hocker Platz nahm.
„Von all den vielen bequemen Sesseln, die Du Dir hättest aussuchen können, wählst Du gerade diesen?“ fragte ich ungläubig.
„Es ist immer gut, sich täglich an die einfachen Anfänge zu erinnern. Was Du hier an Mobiliar siehst, wurde nicht auf einen Schlag eingekauft. Mein erstes Büro war völlig spartanisch ausgestattet und dieser Hocker gehörte zu einem der wenigen Möbelstücke, die ich von Anfang an hatte. Mit der Zeit, als die Firma wuchs, musste das Mobiliar aufgestockt werden. Einiges wurde erneuert, aber viele alte Stücke, die noch brauchbar waren, lagerte man auf dem Dachboden ein.“ Sein schmunzelndes Gesicht verriet mir, dass er diese Geschichte gerne
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