Regina schafft es doch
Überschriften. Es war immer das gleiche: resultatlose Verhandlungen und Konferenzen in der Außenpolitik, Raketenstart, Unfälle.
Er blätterte um, kam zu den Stadtnachrichten. Und dann sperrte er die Augen weit auf.
„In Verbindung mit der geplanten Erweiterung des Stadtparkes im nächsten Jahr ladet die Stadtverwaltung unsere Bildhauer zu einem Wettbewerb für einen künstlerisch gestalteten Trinkbrunnen ein…“
Gert verschlang den Artikel. Ob Regina das gesehen hatte? Zu dumm, daß sie kein Telefon hatte – und wenn er sie recht kannte, so arbeitete sie jetzt an ihrem „Fackelträger“ und schenkte nur dem jungen Erik ab und zu einen Blick, aber nicht irgendwelchen Zeitungen. Gert fühlte, wie ihm der Gedanke an Erik einen kleinen Stoß in die Herzgrube versetzte. Es mißfiel ihm außerordentlich, daß Regina täglich viele Stunden mit einem bildschönen Mann zubrachte. Dann mußte Gert über sich selbst lachen. Sollte eine Künstlerin nicht etwa ein Modell haben dürfen? Das fehlte gerade!
Er schob die Kaffeetasse zurück und stand auf. Ein paar Minuten später brauste der rote Roller quer durch die Stadt.
„Du kommst gerade im rechten Augenblick“, lächelte Regina. „Schwänzt du schon wieder die Arbeit, du Taugenichts?“
„Da hab’ ich dich wohl ordentlich überrascht, was? Soll ich mal in den Kleiderschrank gucken, ob du da nicht dein Modell versteckt hast?“
„Ach, das pflege ich in den Wäschekorb zu stecken“, lachte Regina. „Guck jetzt mal, du. Was meinst du nun?“
Sie nahm die Tücher vom „Fackelträger“ ab. Gert drehte den Bock etwas herum, trat ein paar Schritte zurück, betrachtete ihn aufmerksam von allen Seiten.
„Ist er fertig, Regina?“
„Eigentlich ja. Es fehlt noch so der letzte, feinste Schliff, Erik kommt noch morgen und übermorgen, dann brauche ich ihn nicht mehr.“
„Der ist ganz prachtvoll, Regina. Weißt du, in dieser Arbeit liegt eine – eine Sicherheit…“
„Ein Beweis, daß ich erwachsen geworden bin – ich habe ihm eine Haltung zu geben vermocht, die…“
„Kannst du Gedanken lesen?“
„Nein, aber Katrin hat vor ein paar Stunden genau das gleiche gesagt. Wenn ihr beide derselben Meinung seid, dann muß ja was dran sein. Hast du im übrigen etwas auf dem Herzen, Gert? Da du hier so plötzlich mitten in deiner Arbeitszeit hereinschneist?“
„Buchstäblich auf dem Herzen, ja.“
Er zog die Zeitung aus der linken Brusttasche.
„Sieh mal, was ich für dich gefunden habe. Ich wette zehn gegen eins, daß du heute noch keine Zeitung angeschaut hast.“
„Gestern und vorgestern auch nicht“, sagte Regina.
Sie nahm die Zeitung und las – Gert hatte am Rand rote Striche eingezeichnet. Dann blickte sie zu ihm auf.
„Ach Gert – wenn doch…“
„Willst du teilnehmen?“
„Und das fragst du noch?“
„Denk bloß, Regina, wenn du den ersten Preis bekommen würdest!“
„Ja, stell dir bloß vor! Zehntausend Mark, Gert! Zehntausend Mark!“
„Was würdest du mit dem Geld machen?“
Regina antwortete langsam und zögernd: „Ich weiß es nicht – ich weiß es tatsächlich nicht. Du weißt, Wien ist immer mein Traum – vielleicht würde ich dann nach Wien gehen!“
„Zu deinem Professor?“
„Ja, und in die Museen und in die Oper und in den Stephansdom…“
„Und Schönbrunn! Vor allem Schönbrunn! In das Schloß und den Park mit der Gloriette.“
„Ist das dein Traum?“
„Ja, ich habe mal als Junge einen Film gesehen, der meist in Schönbrunn spielte. Seitdem möchte ich dieses Schloß sehen. Und später ist mir klargeworden, daß Schönbrunn sozusagen der Kern der neueren Geschichte ist. Dort fand der Wiener Kongreß statt, dort lebte Maria Theresia mit ihren sechzehn Kindern. Dort hielt Napoleon seinen Einzug, als er auf dem Gipfel seiner Macht stand. Dort lebte und starb der arme kleine König von Rom. Die bildhübsche Kaiserin Elisabeth hat dort gelebt. Mein Großvater hatte sie einmal zu Pferde gesehen, und er erzählte, wie ihre Ermordung die ganze Welt erschütterte. O ja, Schönbrunn ist wirklich mein Traum, und einmal muß ich dorthin – einmal müssen wir dorthin, Regina. Du und ich!“
Ihre Augen glänzten.
„Meinst du das, Gert?“
„Ja, Regina, das meine ich. Einmal! Noch nicht! Du findest sicher, Regina, daß ich ein verschrobener Kerl bin – du weißt doch, wie lieb ich dich habe – , ich habe dich so lieb, so egoistisch lieb, daß ich mit Händen und Füßen diese Zeit festhalte, die wir
Weitere Kostenlose Bücher