Regina schafft es doch
geräumigen Arbeitstisch, in einer Ecke eine Kommode, mit Linoleum auf der Platte. Hier kochten sie ihren Morgenkaffee und Abendtee – zu Mittag aßen sie auswärts. An der einen Wand stand eine doppelte Schlafcouch mit einem kleinen runden Tisch und ein paar Stühlen davor. Und dann gab es noch einen Kleiderschrank und an der Wand ein Heiligenbild. Im Fensterrahmen kletterten grüne Pflanzen über die kleinen, gewölbten Scheiben.
Durch das Fenster sahen sie auf den Hof hinunter, einen engen Platz, von weißgetünchten Hausmauern umgeben. Aber die Hausmauern waren durch lang überdeckte Laubengänge unterbrochen, und auf deren Brüstungen standen Blumenkästen. „Warten Sie bis zum Frühling“, hatte Frau Reisinger gesagt. „Da haben wir hier eine Blumenpracht, die Sie sich kaum vorstellen können!“
Der Fußboden ihres Zimmers war, wie alle Fußböden im ganzen Haus, uneben und blank vom Alter. Die steinerne Treppe im Haus hatte abgewetzte Stufen, und die Haustür, die Frau Reisinger allabendlich sorgfältig abschloß, war aus schwerem Schmiedeeisen in einem kunstvollen Barockmuster.
Das Haus war über dreihundert Jahre alt. Und es lag in einer stillen Nebenstraße, in einer Gasse, die wie vergessen wirkte, so als habe sie es nicht vermocht, mit der Zeit Schritt zu halten. Über den kleinen Häusern mit den tiefen, engen Fluren und den weißgetünchten Räumen mit den gebogenen Fenstern lag ein Hauch des siebzehnten, achtzehnten Jahrhunderts.
„Das Zimmer ist ziemlich klein für zwei“, hatte Frau Reisinger gesagt, als sie kamen, um es sich anzusehen. „Bisher habe ich es immer nur an eine vermietet – die letzte war auch aus Norddeutschland“, sagte sie lächelnd. „Eine junge Kielerin. Doch, doch, die beiden letzten Jahre hatte ich immer an Professor Tausings Schüler vermietet, ich kenne mit der Zeit das junge Künstlervölkchen – aber ich wollte eigentlich nur einen Untermieter in diesem kleinen Zimmer haben. Das große ist besetzt…“
Regina und Katrin sahen einander an. Sie hatten sich auf den ersten Blick in das Haus und das einfache kleine Zimmer verliebt.
Sie stotterten und erklärten und fragten, und Frau Reisingers sanftes Wiener Gemüt wurde weich, so weich. Ach, wie waren sie reizend, die beiden jungen Mädchen. Wie würde es ihnen bloß in der fremden Großstadt ergehen, wenn sie niemanden hatten, der ihnen half und sich um sie kümmerte? Nein, Frau Reisinger würde diese beiden fremden Vögelchen nicht wieder hinausschicken, noch dazu eben vor Weihnachten…
„Jaja“, sagte Frau Reisinger, „meinetwegen, dann können sie es bekommen. Ich werde eine doppelte Schlafcouch hineinstellen – aber wenn Sie nun zwei sind, dann muß ich schon etwas auf die Miete draufschlagen; wollen wir sagen, hundertundfünfzig Schilling mehr im Monat?“
Katrin und Regina rechneten blitzschnell. Hundertundfünfzig Schillinge – geteilt durch sieben so ungefähr –, das mußte – ja, auf jeden Fall konnten es nicht mehr als fünfundzwanzig Mark werden!
Die Freude, die sie nur schwer in Worten auszudrücken vermochten, die las Frau Reisinger deutlich genug in zwei blanken Augenpaaren, sie fühlte sie in dem Händedruck der Mädel.
„Übrigens habe ich einen Brief von Mami“, sagte Katrin, als sie mit dem Essen beinahe fertig waren. „Tausend Grüße und elfhundert Ermahnungen, tüchtig zu essen und früh zu Bett zu gehen und nicht zu antworten, wenn böse Männer uns auf der Straße anreden.“
„Fühlt sie sich wohl bei deiner Tante?“
„Ja, es hat den Anschein, gottlob! Ich war so froh, daß sie sich überreden ließ, den ganzen Winter dort zu bleiben.“
„Ganz komisch ist es, wenn man daran denkt, daß deine Werkstatt verrammelt und verriegelt ist.“
„Das kann man wohl sagen. Aber im Grunde auch eine Riesenerleichterung. Ach, Regina, wie bin ich auf Tausing gespannt. Was er wohl über meinen Krimskrams sagen wird?“
Sie hatten bis jetzt dem Professor nur einen Antrittsbesuch gemacht, einen Tag, nachdem sie angekommen waren, und waren übereingekommen, daß sie am zehnten Januar bei ihm anfangen wollten. Sie brauchten die Zeit bis dahin, um sich in Wien einzuleben und die Stadt einigermaßen kennenzulernen.
„Deinen Krimskrams nennst du das?“ sagte Regina. Sie folgte der Richtung von Katrins Blicken. Oben auf dem Kleiderschrank standen die Arbeiten, die sie dem Professor zeigen wollten. Arbeiten, von denen sie selber meinten, daß sie gut seien, und über die der
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