Regina schafft es doch
stand.
„Es ist mit das Schönste, was ich gesehen habe – guck doch mal, Katrin – , sie erinnert mich sehr an deinen ,Wassermann’.“
„Oder an deinen ‚Fackelträger’“, lächelte Katrin.
Die Figur war in schwarzer Bronze ausgeführt. Es war ein magerer Jüngling mit einem Lendenschurz um die schlanken Hüften. Sein Gesicht war ausgesprochen mongolisch.
„Das ist ja ein Kuli wie dein ,Wassermann’!“ sagte Regina. Er stand ein wenig nach hinten geneigt und trug eine lange Stange, an der zwei Laternen hingen.
„Siehst du, es ist eine ostasiatische Ausgabe vom Fackelträger’“, lachte Katrin. „Ja, der ist wunderbar schön!“
Balthasar Reisinger nickte.
„Nicht wahr? Den hat ein junger Wiener Künstler gemacht, und ich habe ihn gegossen, das ist schon richtig. Eine hübsche Art, Salz und Pfeffer zu servieren, nicht wahr?“
Er hob die eine von den beiden Laternen von der Stange und streute Salz auf den Karpfen.
„Salz und Pfeffer? Ist es ein – ein Behälter für Salz und Pfeffer?“ fragte Regina ganz überrascht.
„Natürlich. Was dachten Sie?“
„Ich dachte, es sei nur ein Schmuckgegenstand…“
„Nun, das ist es auch. Glauben Sie, die Leute würden so viel Kunst kaufen, wenn die Kunst nicht angewandt werden könnte?“
„Ja, aber, aber…“
Der alte Balthasar lächelte.
„Kommen Sie eines Tages zu mir in die Werkstatt“, sagte er. „Ich habe eine ganze Menge von diesen Bronzeminiaturen gegossen. Sie sind meisterhaft gemacht, andere Sachen übernehme ich gar nicht zum Gießen, ich kann es mir zum Glück leisten, wählerisch zu sein! Und denken Sie doch mal, was dieser junge Bildhauer für eine Mission hat. Er regt die Leute dazu an, feine Kunst zu kaufen, ohne daß sie es selber ahnen. Sie brauchen einen Leuchter oder eine Pfefferdose oder einen Aschenbecher, und weil diese Dinge in erster Linie gute Kunst sind, in zweiter aber einem Zweck dienen – so meinen sie, sie können es sich erlauben, sie zu kaufen. Und dann sehen sie diese Dinge tagtäglich vor sich auf ihrem Tisch. Ihre Augen gewöhnen sich daran, gute Kunst zu sehen, die Kunst hält Einzug in die Wohnungen und wird lebendig, sie ist nicht nur etwas Fernes, das in Museen oder zu reichen Leuten gehört. Verstehen Sie, was ich meine?“
„Hm, ja…“, sagte Regina zögernd. „Aber ich wende mich gegen diese Zweckkunst, weil ich so viele Geschmacklosigkeiten gesehen habe…“
„Aber meine Liebe, darum dürfen Sie doch nicht kurzerhand alles verdammen, was angewandte Kunst heißt. Natürlich gibt es Geschmacklosigkeiten, das weiß der liebe Himmel. Aber – nein, kommen Sie lieber in meine Werkstatt, dann werde ich Ihnen Sachen zeigen, die viel besser als Worte ausdrücken können, was ich meine.“
Da lächelte Regina.
„Tausend Dank, das möchte ich furchtbar gern!“
Am späten Abend, als Regina und Katrin in ihr Stübchen gekommen waren, zündeten sie ihren kleinen Weihnachtsbaum an und überreichten sich gegenseitig ihre Geschenke.
Regina war in sich gekehrt. Sie saß da und starrte in die Kerzen.
Katrin ließ sie gewähren. Sie holte den Weihnachtsbrief von Mami hervor und las ihn zum vierten Male.
Regina fühlte sich so sonderbar ratlos, und dennoch – heute abend war ihr etwas Gutes widerfahren. Was der feine alte Künstler gesagt hatte – ja, denn Künstler war er, der alte Balthasar, auch wenn er sich noch so bescheiden Handwerker nannte –, das hatte etwas in ihr aufgetaut. Ihre Halsstarrigkeit hatte angefangen, sich zu lockern.
Aber was Regina selber nicht merkte, war, daß auch der Mensch in ihr in einen neuen Entwicklungsabschnitt eingetreten war. Nicht daß ihre Ehrlichkeit erschüttert worden wäre, aber – ein kleiner, neuer Keim war gelegt worden. Ein Keim, der sich weiter entwickeln würde zu Nachsicht, zu Nachgiebigkeit und zu einer Fähigkeit, sich in die Gedankengänge und die Handlungsweise anderer Menschen hineinzuversetzen.
Ihre Augen waren halb geschlossen. Und mit einem Male war ihr, als versinke die Umgebung um sie her. Sie fühlte, wie ihr die Gedanken eines anderen Menschen entgegenströmten über eine weite Entfernung hinweg und ihrem festen Schweigen zum Trotz.
Sie glaubte, wieder eine Stimme zu hören.
„Und sollte etwas geschehen, irgend etwas, dann sollst du wissen, daß ich dich liebe – diese Zeit war so schön…“
Sollte etwas geschehen…
Was sollte geschehen?
Die neue, weiche Regina, die nach der Wahrheit tastete, die sich plötzlich ihrer
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