Regina schafft es doch
Professor seine Meinung sagen sollte. Da stand Reginas zurückgewiesenes „Brunnenkind“, und als eine Art Gegenstück dazu hatte Katrin ihren „Schützen“ aufgestellt – es war der kleine Amor von der Sternzeichenserie, den sie als Miniaturplastik ausgeführt hatte.
Und hier standen Tierfiguren Katrins und Reginas in schönster Eintracht, und auch das Gipsmodell der „Jungfrau“ war eingereiht. O ja, der gute Tausing sollte sehen, daß er sie in Kopenhagen nicht vergebens unterrichtet hatte.
Die Glocken vom Stephansdom hallten und sangen über die Stadt hinaus und mischten sich mit dem Klang anderer Kirchenglocken. Es leuchtete hinter Fensterscheiben, Weihrauch duftete in allen Kirchen, auf den Straßen und in großen und kleinen Häusern. In die Fenster stellten die Kinder ihre Krippen. Wachslichter brannten, überall wurde gesungen; die ganze schöne, alte Stadt war mit einem Male ein Märchen voll Musik und Weihrauch geworden.
Aber in allen Küchen standen Hausfrauen und kochten Karpfen blau, Karpfen mit Pflaumensauce und Karpfen in saurer Sauce, Karpfen, die ein paar trübselige Tage in Badewannen oder in Waschzubern zugebracht hatten, bevor sie aus der Badewanne in den Kochtopf wandern mußten und von dort auf die Festtafel für den Christabend.
Frau Reisinger hatte ihre beiden „Pflegekinder“ zum Weihnachtsessen eingeladen. „Ihr sollt einen richtigen österreichischen Christabend erleben, wenn ihr nun mal in einem Wiener Haus seid!“ hatte Frau Reisinger gesagt. Regina und Katrin hatten sich bedankt und in ihren Koffern nach passenden kleinen Weihnachtsgeschenken gesucht. Katrin fand ein neues Friesentuch und Regina eine kleine Trachtenbrosche aus Filigran.
Sie zogen sich um und klopften an Frau Reisingers Tür. Und dann traten sie in ein Zimmer mit Kerzen und Krippe und Blumen und noch mehr Kerzen zu beiden Seiten des Kruzifixes an der Wand, Kerzen vor der Madonna in der Nische – und Kerzen auf dem gedeckten Tisch, wo alles für den Karpfen mit Pflaumensauce festlich angerichtet stand.
Als sie hereinkamen, erhob sich ein alter Mann aus einem Lehnsessel.
„Mein alljährlicher Weihnachtsgast“, stellte Frau Reisinger ihn glücklich und aufgeregt vor. „Mein Schwager, Balthasar Reisinger. Der Bruder meines seligen Mannes. Balthasar, rede langsam und nicht zu wienerisch mit den Mädchen vom Norden, sonst verstehen sie dich nicht. Mein Schwager war in seiner Jugend auch Bildhauer, Mädel, ihr werdet euch also sicher gut verstehen.“
„ War?“ sagte Regina. „Wenn man erst Bildhauer ist, dann ist man es doch wohl fürs Leben?“
„Nicht immer“, lächelte der alte Balthasar, und Regina zuckte zusammen, als sie seine Stimme hörte. Die war so schön, so tief, so ruhig – es war Musik in ihr. „Es kommt vor, daß man merkt, man hat seine Berufung verfehlt, und dann findet man die richtige ein wenig später.“
„Aber sind Sie denn nicht mehr Bildhauer?“ fragte Katrin.
„Nein. Ich war ein mittelmäßiger Bildhauer in meiner Jugend.
Jetzt bin ich nicht mehr mittelmäßig, jetzt bin ich ein unbedingt erstklassiger – Handwerker!“
„Oh“, beide Mädchen sahen ihn fragend an.
„Mein Schwager ist der beste Bronzegießer von ‘Wien!“ sagte Frau Reisinger stolz.
„Oh!“ fuhr es Regina heraus. „Herr Reisinger – nehmen sie Schüler an?“
Balthasar Reisinger lächelte.
„Eigentlich nicht. Aber vielleicht… Möchten Sie so gern lernen, in Bronze zu gießen?“
„Und ob! Ich bin nicht mal sehr tüchtig im Gipsgießen!“
„Wir wollen sehen. Ja, mit dem Gips müssen Sie erst ganz vertraut sein, ehe Sie an Bronze denken können. Nun, da kommt aber die gute Hermi mit dem Karpfen – ich darf mir erlauben, beide Damen zu Tisch zu führen?“
Er war unwiderstehlich charmant, der alte Reisinger. Ein richtiger Kavalier von der alten Schule. Er schenkte Weißwein in die alten, feinen Gläser, die nur bei feierlichen Anlässen herausgeholt wurden, und er hielt die festliche Platte mit dem Karpfen in all seiner schimmernden Pracht.
Man trank sich zu und wünschte sich fröhliche Weihnachten, und dann wurde der Karpfen verspeist.
Plötzlich ließ Regina die Gabel sinken.
„Ach nein, Frau Reisinger – was haben Sie denn da? Daß ich das nicht sofort gesehen habe! Wie entzückend! Ist es eine von Ihren Arbeiten, Herr Reisinger?“
Sie streckte die Hand nach einer schlanken kleinen Bronzeplastik aus, die hinter der Blumenvase mitten auf dem Tisch halb versteckt
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