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Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Freundschaft, die sie füreinander empfanden. Auf das alles, und nicht ihre momentane Situation, konzentrierte sich Audrey, wenn Tak seine unsichtbaren, aber nichtsdestotrotz schmerzhaften Zähne in sie schlug und versuchte, sie unterzubuttern und anzuzapfen. Sie floh in die Liebe und Helligkeit jenes Tages, und bisher hatte ihr das Beistand und Zuflucht geboten. Bis jetzt lebte sie noch.
    Wichtiger, bis jetzt war sie immer noch sie selbst.
    Auf der Wiese verschwanden die Verwirrung und das Dunkel, und alles wurde klar, die splittrigen grauen Balken, die das Dach des Folly stützten und je einen dünnen, präzise abgegrenzten Schatten warfen; der Tisch (ebenfalls gesplittert), an dem sie einander auf Holzbänken gegenübersaßen, in die tiefe Initialen eingeschnitzt waren, überwiegend von Liebespärchen; der Picknickkorb, der abseits auf dem Die -lenboden stand, noch offen, aber in Wirklichkeit für heute abgehakt; das Besteck und die Plastikbehälter für das Essen, die fein säuberlich für die Rückfahrt zum Hotel gepackt worden waren. Sie konnte das goldene Leuchten in Jans Haar sehen, die lose Haarsträhne auf der linken Schulter ihrer Bluse. Sie hörte jeden Schrei von jedem Vogel. Nur eines war anders, als es tatsächlich gewesen war. Auf dem Tisch, wo der Picknickkorb gestanden hatte, bis sie ihn wieder zusammenpackten und wegstellten, stand ein rotes Telefon aus Plastik. Audrey hatte mit fünf Jahren genau so eines gehabt, mit dem sie lange und köstliche Nonsens-Telefonate mit einer imaginären Spielgefährtin namens Missy Lulu geführt hatte.
    Bei manchen Besuchen in dem Folly auf der Wiese stand das Wort PLAYSKOOL auf dem Telefonhörer. Manchmal (für gewöhnlich an besonders schrecklichen Tagen, die in letzter Zeit immer häufiger wurden) sah sie ein kürzeres und wesentlich geheimnisvolleres Wort darauf: den Namen des Vampirs.
    Es war das Tak-Phon, und es läutete nie. Jedenfalls noch nicht. Audrey hegte die Vermutung, wenn es je läuten würde, dann nur, weil Tak ihren sicheren und geheimen Ort gefunden hatte. Wenn das geschah, da war sie ganz sicher, würde das ihr Ende bedeuten. Sie würde vielleicht noch eine Weile atmen und essen, wie Herb auch, aber es wäre nichtsdestotrotz ihr Ende.
    Manchmal versuchte sie, das Tak-Phon verschwinden zu lassen. Sie hatte sich überlegt, wenn sie es loswerden, wenn sie das verdammte Ding fortwünschen könnte, würde sie möglicherweise der Kreatur, die ihr Leben in der Poplar Street beherrschte, entkommen können. Aber sie konnte nichts an dem Telefon ändern, so sehr sie es auch versuchte. Es verschwand manchmal, aber nie, wenn sie es ansah oder daran dachte. Statt dessen sah sie in Jans lachendes Gesicht (die erzählte, wie sie manchmal in Ray Soames Arme springen und ihm das Gesicht weglutschen wollte, und wie sie sich manchmal wünschte - wenn sie ihn dabei erwischte, wie er sich heimlich in der Nase bohrte -, er würde sich einfach in einer Ecke verkriechen und sterben), und dann sah sie zum Tisch zurück und stellte fest, daß die Tischplatte frei war, das kleine rote Telefon verschwunden. Das bedeutete, Tak war verschwunden, jedenfalls für eine Weile, daß er schlief (zumindest döste) oder sich zurückgezogen hatte. Bei vielen dieser Anlässe fand sie Seth auf der Toilette, von wo er sie mit benommenen und umwölkten, aber wenigstens deutlich erkennbar menschlichen Augen ansah. Tak wollte offensichtlich nicht dabei sein, wenn sein Wirtskörper die Eingeweide leerte. Das war Audreys Meinung zufolge eine seltsame und fast existentielle Zaghaftigkeit in einer derart erbarmungslos grausamen Kreatur. Sie sah nach unten und stellte fest, daß das Telefon verschwunden war.
    Sie stand auf, und Jan - die jüngere Jan mit beiden unversehrten Brüsten - hörte fast sofort auf zu sprechen und sah Audrey mit traurigen Augen an. »Schon?« »Es tut mir leid«, sagte Audrey, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie lange sie schon hier war. Wenn sie zurückkam und auf die Uhr sah, würde sie es wissen, aber wenn sie hier war, kam ihr schon das Prinzip der Uhr lächerlich vor. Die Wiese, die im Mai 1982 oberhalb von Mohonk lag, war eine uhrenfreie Zone, barmherzigerweise ohne Ticken. »Vielleicht kannst du das verdammte Telefon eines Tages endgültig loswerden und bleiben«, sagte Jan. »Vielleicht. Das wäre schön.«
    Aber wäre es schön? Wäre es wirklich schön? Sie wußte es nicht. In der Zwischenzeit mußte sie sich um einen kleinen Jungen kümmern. Und noch etwas:

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