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Reich der Schatten

Reich der Schatten

Titel: Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Drake
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schauen, direkt nach vorn. Die Nacht war ein Trugbild. Das Haus war ein Haus, die Fratzen waren aus Stein, sie bewegten sich nicht.
    Und dennoch …
    Das Lachen … das tiefe Lachen, deutlich zu hören. Es wurde zu einem Klopfen, einem Takt – wie ein Herzschlag. Ein Herz, das heftig schlug.
    Der Gang lockte sie.
    Türen öffneten sich knarrend, als sie den Gang entlangging. Das gespenstische Knarren drang an ihr Ohr, und es sah aus, als würden dünne Strahlen bedrohlichen Lichtes aus den dahinterliegenden Räumen dringen. Sie kam an die erste Tür, die einen Spaltbreit offen stand. Sie wollte nicht in den Raum sehen, aber sie wusste, dass sie es tun musste, denn sonst wäre sie vergebens hierhergekommen.
    Sie musste es tun, sie musste Bescheid wissen. Hier irgendwo lag die Wahrheit.
    Sie stieß die Tür auf.
    Und sah …
    … Leichen … Leichenteile … Rümpfe … Köpfe … Glie-der. Überall verstreut. Während sie an der Schwelle stand, schienen sich diese Teile zusammenzufügen, als wären sie von unsichtbaren Bändern gehalten. Leise geflüsterter Streit war zu hören. Lass los, du hast meinen Fuß erwischt! Das ist meine Hand! Dann rollte ein Kopf zu einem Hals, Lippen begannen sich in dem fleckigen, knöchernen, grauen geschlechtslosen Gesicht zu bewegen. Gib mir, was mir gehört! Gib mir, was mir gehört!
    Plötzlich richteten sich die Augen des Geschöpfes auf Tara, und wieder bewegten sich die Lippen. Die Zunge war geschwollen und schwarz, und über das verfallene Kinn begann Blut zu rinnen. Ach Tara, du bist da! Findest du nicht, dass ich recht habe? Er muss mir meine Beine geben. Ich war nie fett, und ich werde mich nicht mit diesen feisten Knien abfinden, wenn ich meine eigenen haben kann. Wo sind meine Arme? Ich brauche meine Arme, damit ich dich festhalten kann, dich an mich ziehen kann. Ich brauche meine Hände, damit ich dich berühren kann, deinen Hals streicheln kann. Was für einen hübschen Hals du doch hast …
    Das Geschöpf war jetzt fast wiederhergestellt. Glieder tanzten in eckigen Bewegungen durch den Raum, bestrebt, den Körper zu vervollständigen. Und die Augen … die Augen ruhten noch immer auf ihr, die Lippen bewegten sich, flüsterten ihren Namen.
    Beinahe, Tara, beinahe … Oh Tara, Tara! Ich bin dir nahe, sehr nahe, beinahe kannst du schon meinen Atem an deinem Leib spüren, an deinem langen, hübschen Hals …
    Sie wich zurück. Das Geschöpf wurde immer vollständiger, es ging sehr schnell. Sie wollte den Gang zurück in den Raum mit dem großen Kamin, sie wollte den Ausgang finden und fliehen. Aber etwas stand ihr im Weg. Etwas Riesiges, Dunkles, mit Flügeln und Krallen, etwas unerhört Böses. Sie wusste, dass sie diesem Schatten nicht entfliehen konnte, es war der Schatten, nicht das Licht, das sie hierher gelockt hatte.
    Er hatte sie gerufen, sie in die Falle gelockt.
    Der riesige, geflügelte Schatten begann zu flüstern.
    Oh ja, meine Liebe, du bist in eine Falle gelockt worden. Dieser uralte Geist ist seiner Überheblichkeit zum Opfer gefallen, und du bist gekommen. Du bist gekommen, und das hättest du nie tun dürfen. Du hast den Ort verlassen, den du nie hättest verlassen dürfen, du hast deinen Wächter verlassen. Und deshalb wirst nun auch du verlieren, verstehst du? Nun kann ich derer habhaft werden, die dich lieben. Nein, eigentlich habe ich sie schon, und zu guter Letzt bist auch du an der Reihe …
    Sie begann zu schreien, so laut sie konnte, völlig hysterisch. Sie wusste, dass sie lauter schreien musste als das Feuer und der Wind, lauter als all das böse Gelächter und das Flüstern, das noch immer einen Takt zu schlagen schien wie eine Trommel. Sie musste die Augen vor der Dunkelheit verschließen, sie musste sich mit aller Kraft daran erinnern, dass das alles ein Traum war, nur ein Traum, und dass sie daraus erwachen konnte. Sie musste aufwachen, unbedingt aufwachen …
    »Tara!«
    Sie wurde hochgerissen und spürte Schmerz, einen echten Schmerz, in ihrem Oberarm. Sie riss die Augen weit auf. Sie sah kein Haus, sie befand sich in ihrem Zimmer.
    Sie blinzelte. Ja, sie war in ihrem Zimmer, und sie starrte in Brent Malones gold-braune Augen, Augen, die so heftig zu brennen schienen wie die Flammen in dem Haus des Bösen. Seine Hand hatte sich so fest um ihren Arm geklammert, dass sich dort bestimmt ein Bluterguss bilden würde. Und sie hatte geschrien und schrie noch immer, während sie mit aller Kraft versuchte, sich gegen ihn zu wehren, sich aus seinem

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