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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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werden nicht offensichtlich. Die meisten sitzen herum, trinken Kaffee, schreiben am PC, lesen Zeitschriften und quatschen ein bisschen. »Was wollen Sie hier lernen?«, will ich wissen. »Ich bin schon das dritte Mal in diesem Kurs«, erklärt eine ältere Teilnehmerin mit strahlendem Lächeln, eine Aussiedlerin aus Russland. »Haben Sie denn noch andere Kurse gemacht?« »Na ja, Deutschkurse und Computerkurse.« »Und warum machen Sie diesen Kurs jetzt zum dritten Mal?« »Meine Arbeitsberaterin fand, es tue mir gut, mal rauszukommen. Hier treffe ich nette Menschen und bin nicht so allein.«
    Kurse als Lebenshilfe also? Davon steht nichts im Angebot der SBB Kompetenz gGmbH. Dass die nette Fallmanagerin vielleicht nicht nur menschenfreundlich und fürsorglich ist, sondern auch im Sinn hatte, ihre Vermittlungsquote aufzubessern, weiß die Aussiedlerin wahrscheinlich nicht. Denn alle Teilnehmer einer »Umschulungsmaßnahme« fallen aus der Arbeitslosenstatistik heraus, was sich für jedes Jobcenter gut macht. Die Zahlen suggerieren schließlich eifriges Arbeiten und eine erfolgreiche Vermittlung.
    Ein Mann mit Rastalocken und einer Art Lederhelm klimpert versonnen auf einer Gitarre. »Was machen Sie hier?«, will ich wissen. »Ich lerne nähen«, bringt er in kaum verständlichem Deutsch hervor. »Woher kommen Sie denn?«»Aus Havanna.«»Und was haben Sie dort gemacht?« »Ich war Hafenarbeiter.«»Und warum machen Sie das nicht auch hier im Hamburger Hafen?« »Hier sind zu viele Container. In Havanna war nur Handarbeit im Hafen gefragt.«Wieso der Mann, der sich ohnehin nur radebrechend verständigen kann, ausgerechnet in einem Nähkurs gelandet ist, bleibt das Geheimnis seiner »Fallmanagerin«. Aber die schickt ja auch Russlanddeutsche her, denen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt.
    In einer Ecke sitzt eine Mittvierzigerin und strickt. »Sie stricken hier gerade so eifrig. Was wird das?«»Ein Pullover.«»Für wen?«»Für meine Tochter!«»Und was wollen Sie später mal mit dem, was Sie hier lernen, anfangen?« »Keine Ahnung, weiß ich nicht. Na ja, für zu Hause ein bisschen nähen!«»Was würden Sie denn am liebsten machen?« »In Rente gehen!«»Warum werden Sie denn nicht Altenpflegerin? Die werden doch gesucht.« »Nee, das kann ich nicht!«»Warum nicht?«»Das ist viel zu schwer!«
    Warum alle dann doch brav ihre Zeit absitzen, der Gitarrenspieler mit Rastalocken, die freundliche Spätaussiedlerin aus Russland, die Pullover strickende Mittvierzigerin? Hier ist es sicher besser, als zu Hause allein vor dem Fernseher zu sitzen. Viele reden miteinander, tauschen sich aus, und es gibt, wenn man täglich kommt, 8,40 Euro zusätzlich pro Tag. Nicht viel natürlich, aber wenn zu Hause nur die Jungs vom Großstadtrevier oder die Rosenheimcops zu Besuch kommen, ist das hier vielleicht eine Alternative. Allerdings eine teure – zumindest für den Steuerzahler. Und außerdem wirbt die SBB Kompetenz auf ihrer Internetseite, auf der sie Langzeitarbeitslosen den Nähkurs schmackhaft macht, nicht etwa mit der viel versprechenden Aussicht auf einen Arbeitsplatz, wenn man nur den Kurs besuche, sondern mit dem verlockenden Angebot einer verbilligten Fahrkarte: »Durch die Teilnahme sind Sie außerdem berechtigt, sich eine ermäßigte Fahrkarte für den HVV-Großbereich (›AGH mobil‹) zu kaufen (auch privat nutzbar!).«
    Na, denn! Dann können ja die Teilnehmer nach dem Stricken, Häkeln und Nähen wenigstens preiswert durch die Stadt gondeln. Ohnehin findet der Geschäftsführer, dass es keineswegs seine Aufgabe sei, die Kursteilnehmer sofort in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Hier gehe es um gänzlich anderes. Im Hartz-IV-Chinesisch klingt das so: »Der Auftrag des Jobcenters heißt: Bitte, profilen, schau nach: Was haben die Menschen für Potenziale? Und das hier ist so ein Kursus. Ich habe dafür 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sind unter anderem die sogenannten Coachs. Es geht eben darum, Leute zu fördern, damit sie in den Arbeitsmarkt kommen.«
    Auch die Kursleiterin bestätigt: »Aufs Nähen kommt es gar nicht an. Es ist unser Hauptziel, dass die Leute in den Ersten Arbeitsmarkt kommen – und dafür versuchen wir, ihnen eben so viel Unterstützung zu geben wie möglich. Das Nähen ist dabei der kleinere Anteil. Wichtig ist das Coaching: Wie bewerbe ich mich? Wie kriege ich es zeitlich hin, immer pünktlich zu kommen, bis zum Arbeitsende zu bleiben, also wie schaffe ich es, so einen ganzen Tag

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