Reich durch Hartz IV
dafür nicht einen einzigen Euro zusätzlich zum Arbeitslosengeld von 879,10 Euro. Als unzumutbare Belastung oder gar würdelos bezeichnen sie ihren Einsatz dennoch nicht. Das wird klar, als ich die beiden Männer frage, die gerade ein kaputtes Sofa auf die Ladefläche ihres Transporters hieven: »Ich habe gerade keine andere Arbeit, also mache ich eben das hier. Und ich leiste etwas für die Gesellschaft und bekomme mein Geld nicht fürs Nichtstun. Das ist mir wichtig.«
Dr. Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Koblenz, kennt sich aus mit den Reformen in den Niederlanden. Er erforscht und verfolgt seit Langem, was sich dort tut. »Der Erfolg der Niederländer«, sagt er bei unserem Treffen in Koblenz, hänge auch mit der Grundsatzentscheidung zusammen, dass, wer Mitte 50 und älter sei, nicht mehr könne oder auch erkennen lasse, dass er nicht mehr wolle, in den Ruhestand geschickt werde. Der Staat, die Kommunen und Jobcenter würden dadurch Kraft und Zeit sparen, könnten sich in erster Linie um die Jungen kümmern und denen Beine machen, sie motivieren und wenn nötig unter Druck setzen. Professor Sell findet, dass die meisten »Maßnahmen« hierzulande zu wenig mit dem wirklichen Arbeitsleben zu tun hätten. »Virtuelle Welten, künstliche Biotope, ›Projektionitis‹ schaffen keine Arbeitsplätze.« Sein Vorschlag für Deutschland: Der Staat solle lieber Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber zahlen, die einen Langzeitarbeitslosen einstellen, als sich um die aussichtslosen Fälle zu kümmern. Ersterer könne sich dann in der »echten« Arbeitswelt bewähren und verlöre nicht seine Würde, indem er Plastikeier und leere Packungen abstaube, herumpuzzele und mit Spielgeld bezahle. So hätte er wenigstens das Gefühl, seine Arbeit sei von Nutzen, soziale Kontakte und echte Kollegen eingeschlossen – und bewege sich nicht ständig in einem Kreis von ausschließlich Arbeitslosen, die alle dieselben Probleme hätten und ihn mit in die Negativspirale nähmen. Ob das nicht von Arbeitgebern ausgenutzt werden könnte, indem Arbeitsplätze, die ohnehin geschaffen worden wären, nun subventioniert würden, weil das Geld ja ohnehin da sei, will ich wissen. Dieses Argument lässt Sell nicht gelten: Der Gesetzgeber könnte ja die Zahl der Arbeitslosen mit Lohnzuschuss in einem Betrieb auf zehn Prozent der gesamten Belegschaft begrenzen, damit nicht ganze Firmen vom Staat gepäppelt würden. Außerdem plädiert er für vom Staat bezahlte externe »Troubleshooter«, Sozialpädagogen oder Helfer, die sich um alle Probleme, die mit dem neuen Kollegen eventuell auftreten könnten, unbürokratisch kümmern. Hält der Langzeitarbeitslose acht Stunden durch? Kommt er pünktlich? Hält er die Pausen ein? Das wäre Sache des Troubleshooters. Und zwar so lange, bis der Mann oder die Frau auf der Spur seien. Direkt und effektiv. Der Arbeitgeber wäre damit überfordert, und so könnte man ihm auch die Angst und die Skepsis nehmen, einen Langzeitarbeitslosen einzustellen, meint Sell.
Die Arbeitslosenquote in den Niederlanden sank und sank im Zuge der Reform. Zumindest bis 2008 auf drei Prozent. In Deutschland lag sie zur selben Zeit bei 7,8 Prozent. Nun steigt die Zahl der Arbeitslosen im Nachbarland wieder. Im November 2012 lag sie laut Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union, bei 5,6 Prozent. Wirkt die Reform nicht mehr? Oder hat es andere Gründe? Das geringe Wirtschaftswachstum und die Rezession im Euroraum tragen mit Sicherheit dazu bei. Deutschland lag im Dezember 2012 mit einer Arbeitslosenquote von 6,7 Prozent nur noch einen Prozentpunkt über der der Niederlande. Eigentlich kein schlechter Schnitt, dank der guten Konjunktur in Deutschland, aber offenbar zeigen auch die verschärften Bestimmungen aufgrund der Hartz-IV-Reformen »Fordern und Fördern« langsam Wirkung. Der Aufschwung, die Einführung von Minijobs und Zeitarbeit – zum Ärger von Gewerkschaften, Teilen der SPD und der Partei »Die Linke« haben dazu geführt, dass fast jeder fünfte Deutsche auf Niedriglohnbasis arbeitet. Natürlich darf das nicht auf Dauer so bleiben, aber viele Arbeitslose haben dadurch einen Fuß in die Tür des Ersten Arbeitsmarkts bekommen. Auf diese Weise ist in den letzten Jahren Bewegung auch in den deutschen Arbeitsmarkt gekommen. Trotzdem bewegt sich bei den Langzeitarbeitslosen in Deutschland so gut wie nichts. Sie werden zwar gefördert, aber
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