Reich kann jeder
ja, dass sie im Stress ist.
»Ja, immer!«
Natürlich nehmen wir jeder ein Stück, Erdbeere, fett mit Sahne. Natürlich gucken wir nicht, als Richie Müller, der »Tatort«-Star, mit seiner Begleiterin aufsteht und bezahlt. Natürlich nicht.
Das wäre peinlich.
Als ich auf die Toilette gehe, spricht Anne Greta noch einmal an. Greta mag Leute, die sich etwas trauen. Als ich wiederkomme, hat Anne den Job.
Das Meer glitzert jetzt so, als hätte einer ein paar Tonnen Swarovski-Steine reingekippt. Aber das ist nur das Licht. Das Licht von Sylt, das irgendwann weg ist und Gretas Lokal zur Bühne macht für die Abendtische der feinen Gesellschaft, die den ganzen Tag die Füße im Sand hat und jetzt Tische will! Tische!
***
Die Fahnen wehen hoch oben auf dem Rauchfang-Dach im Sylt-Wind. Annes Dienst beginnt um zwölf Uhr, am Tag als Polo ist und die Insel voll.
Sie hat sich eine weiße Bluse angezogen. Sie sagt, sie wisse noch nicht, ob sie das durchhalte, ob sie die Promis erkenne, sie hätte doch noch mal Gesichter googeln sollen.
Ich kann das nur bestätigen und tue das auch.
Ich setze mich raus, damit ich nicht weiter auffalle. Ich will nicht das Gefühl vermitteln, als ginge es hier ums Geld. Hey, das ist Fun. Anne und ich, wir machen hier heute Fun.
Dann gucke ich mir genüsslich an, wie Anne uns das Trinkgeld verdient. Aber das ist gar nicht so einfach.
Sie hat keine geschlossenen Schuhe, und das ist ein Fehler, sie tut mir leid. Sie soll erst mal Servietten falten, da, wo sie keiner sieht. Anne darf keinen Kundenkontakt, legt Greta fest. Bloß nicht!
»Keine Kasse, keine Bar!«
Greta brüllt fast ein wenig oder spricht zumindest sehr laut.
Das sei öfter so, das beruhige sich gleich wieder, wird mir bedeutet. Das sei nun wirklich ein spezieller Tag.
Greta will keinen Extrastress. Nicht heute, wo alle da sind.
»Anne wird ganz schön zu tun haben«, erklärt mir einer von Annes neuen Kollegen. Es seien schon spezielle Gäste, die heute kommen.
Und Anne sagt er drinnen, dass das Trinkgeld mindestens das Doppelte vom Lohn sei. Er sei für das Geld nach Sylt gekommen, sagt er, Denis heißt er.
»Ich mache keinen Sport, ich mache Rauchfang. In der Saison nehme ich acht bis zehn Kilo ab.«
Dann geht er raus, eine Schorle bringen, und da, wo Anne drinnen die Servietten faltet, ist sie plötzlich ganz alleine. Und als sie da so alleine ist, kommt plötzlich ein berühmter Gameshow-Moderator rein, er will nicht aufs Klo. Er will zu ihr. Scheiße, zu ihr!
»Guten Tag, Herr Moderator«, sagt Anne.
»Guten Tag«, sagt der Moderator und will es jetzt wissen von ihr. Er hat den Pullover über den Schultern und fragt sie: »Wie heißt noch mal das Gut, von dem Sie Ihren Wein beziehen?«
Oh je. Sie weiß es nicht.
Anne weiß es nicht.
»Aber aus welcher Gegend er ist, können Sie mir doch sicher sagen.«
Anne wird rot. Es geht um den Weißwein. Es geht in die Hose.
»Mosel, denke ich.«
Es ist schrecklich. Der Moderator guckt prüfend.
Da kommt Denis, weiß es. Da kommt Greta, kriegt das nicht mit. Greta schnappt sich den Moderator und seine Frau, Greta, der Moderator und seine Frau gehen jetzt zum Polo. Nachher, wenn er zurück ist, will Anne ihn fragen, ob er sie in seine Show lässt, vielleicht bringt sie ihm einen Wein mehr.
»Du weißt ja nicht, dass ich mich bei dir beworben habe«, denkt Anne und fragt sich, wie Greta das findet, wenn sie sich hier an ihn ranschmeißt.
»Das ist ja geil, das gibt es doch gar nicht«, denke ich. »Den fragt sie nachher, ob sie in seine Sendung kann, das machen wir hier gleich klar.«
Darf man das, können wir den hier ansprechen? Ja, das wäre gut, aber ist er dann beleidigt? Das soll man ja nicht tun, die Privatsphäre stören, und unsere Bewerbungen, die wir ihm und den anderen Rate-Moderatoren geschickt haben, sind ja auch so ganz gut.
Anne wird jetzt arbeiten und arbeiten, sie wird jetzt arbeiten, bis sie schwitzt. Sie wird jetzt Geschichten hören von Gästen und ihren Kellnern, Gästen, die ihre Kellner nicht nur als Kellner sehen.
Sie wird auch zu diesen Gästen gehen und sich vorstellen, weil sie das erste Mal da ist, und Weißwein bringen, den sie ihnen von den Lippen abliest. Bis es voll wird und noch voller, bis alles platzt und alles rotiert und es fast so wirkt, als wäre ganz Sylt schon da, und noch mehr kommen.
Und die Aga Khan mit der großen Runde.
Und der Unternehmer so und so.
5000 Euro, an Silvester gab es schon mal 5000 Euro Trinkgeld!
Weitere Kostenlose Bücher