Reich und tot
Journalistin hatte recht mit dem, was sie sagte, dachte er. Den Dreckskerl würde es früher oder später sowieso erwischen. Früher oder später würde ihn die Presse schon aufspüren, ob nun mit oder ohne Hilfe von drinnen. Warum also nicht davon profitieren? Warum sollte er auf die Weise nicht ein paar Pfund gutmachen? Er schob den Umschlag ins Handschuhfach und drehte den Zündschlüssel. Wenn die oben so was ausschließen wollten, mussten sie die Leute besser bezahlen und nicht für ein verdammtes Trinkgeld arbeiten lassen.
Im Einsatzraum drehte Kerr Däumchen, als Sergeant Ince anrief und ihm von Gus Mortimers Begegnung mit Mick Hume erzählte, und dass die Durchsuchung so gut wie beendet sei. Vier Stunden lang hatten sie alles auf den Kopf gestellt und nichts gefunden. Kerr legte auf und ging hinunter in den zweiten Stock, zurück in Hortons Büro.
Steve sah von seinem Bildschirm auf.
»Mr Kerr. Ich wollte Sie gerade anrufen. Ich habe eine interessante Verbindung von Centro Tech nach Crowby gefunden.«
Kerr zwängte sich neben ihn.
»Die London European Technology Holding«, intonierte Horton.
Er sah aus wie ein Zauberer, der gleich ein Kaninchen aus dem Zylinder ziehen würde. Kerr blickte ihn verständnislos an.
»Die London European Technology Holding«, wiederholteHorton. »Ich habe es erst nicht geschnallt, weil ich mich auf die Namen der Vorstandsmitglieder konzentriert habe. Wobei die Jungs natürlich nie direkt im Vorstand von Centro Tech gesessen haben, klar. Es ist mehr oder weniger die typische Investitionsgesellschaft: Da bleibt man im Hintergrund und wartet darauf, dass die Gewinne sprudeln. Als ich dann aber etwas näher hingesehen habe, stellte sich heraus, dass sie zur Zeit der Channel-Four-Dokumentation zwanzig Prozent an Centro-Tech besaß. Die London European Technology Holding, meine ich. Als Gus Mortimer der Prozess gemacht wurde, hatten sie ihre Anteile längst weiterverkauft. Dabei haben sie ganz schön Federn gelassen, aber ich denke, sie wollten die schlechte Publicity nicht. Das war es ihnen wert.«
Kerr sah zu, wie Hortons Finger über die Tastatur flogen. Vielleicht würde er ja noch begreifen, was er ganz offenbar begreifen sollte.
Horton deutete mit dem Zeigefinger mitten auf den Bildschirm.
»Sehen Sie sich das an«, sagte er. »Die London European Technology Holding war eine Tochter von GT En-Vision. Oder besser gesagt, sie ist es immer noch.«
Über Hortons Schulter gebeugt versuchte Kerr, die finanziellen und juristischen Verflechtungen zu durchschauen. Und was hieß das nun alles?
»GT En Vision ist das Kernstück von Geoffrey Trayners Finanzimperium. Kennen Sie den Mann? Boden Hall? Abgeordneter im E U-Parlament ?«
Kerr nickte. Endlich. Bingo. Abrakadabra.
»Was das alles im Endeffekt bedeutet, Mr Kerr, ist, dass Trayner zu zwanzig Prozent an Centro Tech beteiligt war, als die Firma illegal Elektroschockwaffen hergestellt und ausgeführt hat.«
17
Julie Myers verließ die Bibliothek wie gewohnt um halb sechs. Sie durchquerte die Fußgängerzone, ging die High Street bis zu Boots hinunter und bog dann nach rechts in den Holt’s Way. Die »S Bar« hatte vor noch nicht ganz einem Jahr im ausgeweideten Skelett des lange verlassenen Workingmen’s College aufgemacht und teilte sich das Erdgeschoss mit »Zola’s Brasserie«. In den oberen Etagen befand sich der »Club Zoo«. Julies Freundin Olivia war bereits da und hatte ihr einen Red Bull mit Wodka gekauft, auf reichlich Eis. Das war genau das, was Julie jetzt brauchte.
»Cheers, Ollie«, sagte sie, nahm zwei schnelle Schlucke und atmete tief durch. »Himmel, tut das gut.«
Nach Feierabend ließ sie gerne hier die Seele baumeln. Hier war alles hell, modern und neu und der Großteil der Gäste jung, gut gekleidet und voller Pläne für den weiteren Abend. Julie hatte sich am Wochenende zum x-ten Mal von ihrem Freund getrennt und entsprechend Druck auf dem Kessel.
»Diesmal richtig?«, fragte Olivia.
»Absolut! Definitiv. Das war’s, Ollie. Ich sag’s dir. Ich ertrage diesen ganzen Beziehungsschrott nicht mehr. Dieses Gebundensein, die Pläne, und dann wasch ich auch noch seine Klamotten, Himmel noch mal.Ab sofort gibt’s nur noch Sex, ohne alle Verpflichtungen.«
»So ist’s recht«, sagte Olivia. »Lass dich vögeln und dann weg mit ihnen. Ex und hopp.«
Die beiden lachten und brachten sich dann insgesamt auf den neuesten Stand: was sonst noch alles am Wochenende passiert war, wer gerade mit wem
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