Reich und tot
der Liste und der ersten Hass-Mail weniger als vierzehn Tage lagen.
Kerr befreite eines seiner Sandwiches, das mit Speck, Salat und Tomate belegt war, von der Frischhaltefolie.
»Das ist schon komisch, Steve, oder?«, fragte er. »Ich meine, warum gerade in diesem Jahr? Warum jetzt? Der Centro Tech-Fall ist fünf Jahre alt und die Fernsehdokumentation, auf die das alles zurückgeht, noch älter. Seitdem ist die Sache öffentlich, und wer sich für so was interessiert – und dazu dürften die Typen, die hinter der Website stecken, ja wohl gehören –, sollte darüber eigentlich Bescheid wissen.«
Horton war Kerr ein paar Schritte voraus und hatte bereits zwei Sandwiches freigelegt.
»Weiß der Himmel, wie die das entscheiden, Mr Kerr. Wenn wir alle Namen recherchieren würden, fände sich wahrscheinlich ein Muster. Nach Firmen, die sie nicht mögen, oder Geschäftsbeziehungen mit bestimmten Regierungen.«
Er knüllte die Frischhaltefolie zusammen und warf sie in einem schönen Bogen in den Papierkorb.
»Vielleicht haben sie auch einfach niemand Neues gefunden und deshalb auf altes Material zurückgegriffen, um ihre Liste interessant zu halten.«
»Möglich ist alles«, sagte Kerr, der, während er auf einer widerspenstigen Scheibe Tomate herumkaute, plötzlich eine Idee hatte.
»Was ist eigentlich mit Centro Tech? Gibt es über die viel im Internet?«
Es war nichts als ein Gedanke, andererseits hatte Mortimer dort gearbeitet, bevor er nach Crowby gekommenwar, und damit gehörte es zu seinem Hintergrund. Das würde selbst Jacobson zugeben müssen.
Horton legte sein Sandwich zur Seite und strahlte.
»Was wollen Sie? Konten, Gründungsaktionäre, spätere Einsteiger, Vorstände und deren Verbindungen zu anderen Firmen? Gerade diese Woche haben wir eine direkte Einwahlmöglichkeit in die Datenbank der nationalen Unternehmensregistratur bekommen. Da gibt es alle Informationen über die im Land niedergelassenen Firmen. Nicht nur die allgemein verfügbaren Daten.«
Seine Finger flogen über die Tastatur. Er lud bereits alles Mögliche herunter und druckte es aus, als Kerr sein zweites Sandwich in Angriff nahm. Willkommen in der Cyborg-Zentrale. Menschen und Dodos bitte ein Stück zurücktreten.
Kerr überflog die Liste, auf der fein säuberlich alle leitenden Angestellten der Firma aufgeführt waren, mitsamt der Adressen, die im Computer der Unternehmensdatenbank registriert waren. Er hatte wohl auf irgendeine Verbindung zu Crowby gehofft, aber da fand sich nichts. London. Glasgow. Birmingham. Mustique. Die Drähte reichten überallhin, nur nicht nach Crowby. Horton sagte, er könne noch mehr Möglichkeiten checken, Querverbindungen zu Wählerverzeichnissen suchen, zu Kreditagenturen oder was sonst er wolle.
»Das wäre toll, wenn Sie die Zeit dazu haben, Steve«, sagte er.
Es gibt keinen Grund, die Leute in ihrem Eifer zu stoppen, dachte er, ob das nun eine Sackgasse ist oder nicht.
Jacobson fuhr hinaus zu Planet Avionics, wo der letzte Teil der Durchsuchung lief. Während sich die Polizei systematisch durch die Büros arbeitete, machten die Angestelltendas Beste aus ihrer unfreiwilligen Muße, sonnten sich auf dem Rasen vor dem Gebäude oder tranken ein Glas im Pub drüben beim künstlichen See. Faith Lawson, in schwarzem T-Shirt und schwarzer Jeans, saß auf der kleinen Mauer direkt vor dem Eingang und war in eine zerlesene Ausgabe von ›Gespräch mit einem Vampir‹ vertieft.
Hume und Barber hatten es sich hinter der Empfangstheke bequem gemacht und verfolgten den Fortgang der Operation über die Kameras des Videoüberwachungssystems. Parallel dazu sahen sie sich auf einem der sechs Bildschirme das Material von Samstagmorgen noch einmal an: Gus Mortimer, wie er durch die Tür hereinkam und dem Wachmann zuwinkte. Die Zeitangabe war klar und eindeutig: 08 - 00 - 04. Jacobson hatte die Bilder bereits gesehen und eine Kopie bestellt, die er untersuchen lassen wollte. Videos ließen sich leicht manipulieren, man musste nur wissen, wie. Jacobson hielt das in diesem Fall nicht für wahrscheinlich, zog aber wie gewohnt die Sicherheit der Wahrscheinlichkeit vor.
»Immer noch nichts?«
Barber sah von den Bildschirmen auf.
»Ein Glas Speed im Garderobenschrank eines armen Teufels, ansonsten absolut nichts.«
Draußen im Sonnenschein kam eine große Gestalt auf die Glastür zu, ein Mann etwa in Jacobsons Alter, der einen makellosen Anzug trug. Sie sahen, wie er seinen elektronischen
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