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Reich und tot

Reich und tot

Titel: Reich und tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einen lieben alten Herrn hier. Vierzehn Stunden hat er bei seiner Frau gesessen, Gott segne ihn.«
    »Und Sie sind sicher, dass er die ganze Zeit hier war?«
    Sie zeigte nach rechts auf eine offene Tür und einen kurzen, mit rotem Teppich ausgelegten Flur.
    »Er war gleich dort. In Raum drei. Hat sich kaum bewegt, bis sein Freund wieder herkam, außer, dass er mal zur Toilette musste. Zwischendurch habe ich ihm eine Tasse Tee angeboten, aber ich kann nicht mal sagen, ob er mich gehört hat. Manche trifft es schwerer als andere.«
    Jacobson dankte ihr für die Hilfe. Er schicke in den nächsten Tagen einen seiner Beamten, damit er ihre Aussage aufnehme. Das sei in Ordnung, sagte sie. Sie habe einen Sohn in der Armee, der daran denke, zur Polizei zu gehen, wenn er entlassen werde. Das sei doch ein guter, sicherer Job, oder etwa nicht? Jacobson stimmte ihr zu. Aber nicht so sicher, wie das Beerdigen von Toten, dachte er düster. Irgendwann in der global erwärmten oder von einem Asteroiden zerstörten Zukunft könnte es der letzte verdammte Beruf überhaupt sein.
     
    Hinter Mortimers Anwesen führte ein schmaler Weg von der Hauptstraße zur Brownlea Farm. Es war jetzt das dritte Mal für Hume, dass er herkam, für Barber das zweite, und mit jedem Mal wurden sie unwilliger. Die meisten der Nachbarn waren Mortimer vom Typ her durchaus ähnlich: unter fünfzig, stilbewusst, aalglatt – wie Yuppies eben waren, wenn sie ihre hochtrabenden Ambitionen und Karriereziele erreicht hatten. Eher neureich,nicht das alte, kauzige Geld, das man draußen an der Wynarth Road antraf. Aber so wenig hilfreich die Leute letztlich auch waren, sie blieben doch wenigstens höflich. Hume und Barber verließen kaum ein Grundstück, ohne dass ihnen eine Tasse Tee, ein Bier oder ein paar Floskeln darüber angeboten wurden, was für einen tollen Job sie doch machten und wie sehr man sie unterstütze und wertschätze. Barber hatte sogar den Eindruck, dass sich eine der Frauen, deren Mann bis Mitte nächster Woche in Seattle war, um dort eine Datenbank in Ordnung zu bringen, leicht in Hume verguckt hatte.
Bestimmt hält sie deine typische Ungehobeltheit für einen bizarren, männlichen Charme, Mick.
    Das Tor zur Farm war wie gewohnt mit einem Vorhängeschloss versehen. Die früheren Male waren sie hier stehen geblieben und hatten gerufen und darauf gewartet, dass jemand kam und ihnen öffnete. Diesmal sprangen sie einfach darüber, wobei Barber über den Staub fluchte, der seine neuen Deckschuhe einnebelte. Der alte, hechelnde Collie begnügte sich damit, den Kopf zu senken und knurrend zu verfolgen, wie sie auf das Haus zugingen. Gestern hatte er den Fehler begangen, nach Humes Wade zu schnappen, worauf er sich einen Tritt eingefangen hatte. Brownlea hatte lange zum Verkauf gestanden, nachdem der Betrieb noch vor Ausbruch der Maul-und-Klauen-Seuche bankrottgegangen war, und jetzt war es fast so weit: Bald würde der Hof den Besitzer wechseln, nachdem er hundert Jahre lang von Neville Chapmans Familie bewirtschaftet worden war, wie Chapman jedem, der ihm zuhören wollte, erzählte. Er schob der Regierung, der EU und den Supermärkten die Schuld an seinen Problemen zu. Die Gerüchte im Bauernverband waren weniger mitfühlend. Dort sah mandie Verantwortung bei Chapman selbst, warf ihm Misswirtschaft und Unfähigkeit im Umgang mit Zahlen und Abrechnungen vor, gar nicht zu reden von seiner Vorliebe für die Flasche. Hume war das alles egal. Der Spross einer Bergarbeiterfamilie aus Yorkshire hatte nicht viele Barbour-Jacken bei den Streikposten in Orgreave gesehen, und ihm war auch irgendwie entgangen, dass die Bauern nach Entschädigung riefen, als den Bergarbeiterdörfern auch noch das letzte Blut aus den Adern gesaugt wurde.
    Barber klopfte kräftig an die Tür, und Hume linste durch das ungeputzte Küchenfenster. Hier erwartete sie kein Lächeln, kein freundliches Willkommen, das war sicher. Chapman mochte dieser Tage keine Besucher, er schien überhaupt wenig zu mögen. Auf Anraten seines Arztes war ihm vor ein paar Monaten der Waffenschein entzogen worden. Seine Frau hatte ihn verlassen, und auch seine Söhne wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er hielt den Hof mehr oder weniger besetzt, bis die Enteignungs- und Verkaufsformalitäten endlich abgeschlossen waren.
    Nach ein paar Minuten hörten sie, wie sich jemand an der Tür zu schaffen machte und offenbar mehrere Sicherheitsschlösser öffnete, Riegel zurückschob und Ketten löste. Chapman

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