Reiche dem Tod nie die Hand (German Edition)
sich Tom wieder an mich. Was hat das zu bedeuten? Wieso soll ich auf einmal warten und nicht mitgehen und wieso soll ich die Wand anstarren und mich nicht umschauen? Aber ich sehe an Toms Blick, dass jetzt keine Zeit für Diskussionen ist, und nicke deswegen einfach. Sofort verschwindet er auch um die Ecke. Ich starre, wie er es zu mir gesagt hat, die Wand an, halte mir zusätzlich die Ohren zu, um einfach nichts wahrzunehmen. Angst sitzt in meinen Knochen, das geb ich zu und dieses Mal ist sie nicht da, weil Tom was Böses mit mir vorhaben könnte. Dumpfe Geräusche wie Gebrüll, Knallen, Schläge und Ähnliches erreicht meine Gehörgänge, obwohl ich meine Ohren zuhalte. Mein Körper bebt vor der Ungewissheit, will ihr entfliehen und kann es dennoch nicht, egal, wie sehr ich es mir wünsche. Auch die Angst um Tom, da er noch immer der einzige Halt und Schutz hier ist, dringt durch meinen Körper und lässt mich seine Bitte brechen. Unsicher trete ich einen Schritt nach vorn, atme tief durch und nehme die Hände von den Ohren. Sofort wird alles lauter, wobei die Geräusche an sich, weniger geworden sind. Neugierig, verwirrt und dennoch ängstlich, öffne ich meine Augen wieder, die ich mittlerweile geschlossen habe und schiele um die Ecke. Und was ich da sehe und das, was den lauten Knall von Toms Pistole begleitet, lässt sofort das Blut in meinen Adern gefrieren.
Das Bild, wie Tom dort steht, die Waffe auf einen wimmernden Mann gerichtet, der am Boden hockt und um Gnade zu flehen, scheint, so wie seine Stimme klingt ... das Bild, wie Toms Finger den Abzug betätigt ... das Bild, wie der Mann einfach weiter in sich zusammensackt und auf dem Boden liegen bleibt, eine Blutlache entsteht und seine Kleidung durchtränkt ... Geschockt, nein, fassungslos sehe ich zu Tom, blicke ihm in die Augen, die mich nun ebenfalls erfassen und mich ... ich weiß nicht wie ansehen. Ist da Reue in seinen Augen? Nein, das kann nicht sein. Meine Augen wandern durch den Raum, einfach nur stumm stehe ich da und schaue mich um. Andere Männer, vermutlich Toms, stehen im Raum, schauen sich einfach um und ziehen dann die Leichen weg, die Leichen von Männern, die auf dem Boden liegen und rote Spuren hinterlassen. Nur Tom steht ganz still da und schaut mich an. Er ist der Einzige, der sich in den wenigen Minuten nicht einen Millimeter bewegt hat, sogar die Toten haben sich mehr geregt, als sie über den Boden gezogen worden sind. Mein Blick wandert wieder zu ihm. Ich kann sehen, dass er gerade auf mich zukommen oder etwas sagen will, ich weiß nicht genau, was es ist, dazu ist der Moment einfach viel zu kurz, denn keine Sekunde später wird es einfach schwarz vor meinen Augen. Als ich wieder aufwache, fällt mir sofort das Licht, das durch die Fenster scheint, ins Gesicht. Stöhnend reibe ich mit der Hand über meine Augen und blinzle dann etwas. Ich bin im Schlafzimmer und mir kommt auch sofort ins Gedächtnis, was gestern war und weshalb ich umgekippt bin. „Guten Morgen, Kleiner. Schön, dass du wieder wach bist!“, raunt auf einmal Tom neben mir, den ich bis jetzt noch gar nicht wahrgenommen habe. Erschrocken sehe ich ihn an, runzle meine Stirn, als mir die Bilder von gestern, wieder durch den Kopf gehen. Wie er da gestanden hat, die Pistole auf den Typen gerichtet ...
„Tut mir leid, dass du das gestern mitbekommen hast. Ich hätte es gerne verhindert und du solltest ja eigentlich auch nicht gucken, aber das lässt sich jetzt leider nicht mehr ändern. Tut mir leid, dass du das gesehen hast. Es war eine Art „Bandenstreit“, wenn man es so nennen will. Ein dummes Missverständnis, das meine Leute angerichtet haben. Falsche Lieferung. Normal schaut man sich seine Lieferung noch mal an, die haben es aber nicht getan und so ist die falsche Lieferung an den falschen Kunden geraten. Minderwertigere Ware als die, für die sie bezahlt haben. Meine Leute haben es verbockt und so kann das dann ausarten. Tut mir wirklich leid, dass es so gekommen ist, ich wollte ja nie, dass du so was mal sehen musst!“, erzählt Tom und ich sehe ihn geduldig an, schüttle allerdings verständnislos den Kopf, als er geendet hat. Es ist doch krank, einfach nur krank, anders kann man das nicht nennen. Ich hab noch nie eine echte Leiche gesehen und erst recht keine Erschossene. Das ist doch ... Das sind Leben, Seelen, wie kann man damit so leichtfertig umgehen? Einfach so ein Leben auslöschen, das doch genau soviel wert ist, wie das eigene?! Ich verstehe
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