Reid 3 Ungezähmte Sehnsucht
Gesicht bedeckte. Ich kann nur sagen, dass er von durchschnittlicher Größe war. Was, wenn er in der Zwischenzeit das Kostüm gewechselt hat? Er könnte in diesem Augenblick an uns Vorbeigehen, und ich würde ihn nicht wiedererkennen. Oder wir beschuldigen aus Versehen den Falschen, weil es mehrere Mönche gibt. Eins muss man ihm lassen: Er hat sich den idealen Abend ausgesucht, um seine Identität zu verschleiern. «
Sarah murmelte etwas Unverständliches, ehe sie ein wenig lauter hinzufügte: »Reine Zeitverschwendung! Hättet Ihr Euren Verstand eingesetzt, hättet Ihr einen Weg gefunden, ihn zu demaskieren! «
Ungläubig erwiderte Rebecca: »Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich mittels einer Notlüge fliehen konnte. Wie hätte ich ihn nach Eurer Ansicht denn dazu bewegen sollen, die Maske abzunehmen? «
»Ihr hättet ihm schöne Augen machen können, dann hätte er sich früher oder später zu erkennen gegeben, um Euch einen Kuss zu entlocken. Jetzt sagt nicht, Ihr seid so naiv, dass Ihr nicht wisst, wie ein hübsches Mädchen wie Ihr einen Mann um den Finger wickelt! «
Es vergingen einige Momente, ehe Rebecca antwortete. Die Vorstellung, von ihm geküsst zu werden, ließ ihr das Blut in den Ohren rauschen. Viel hatte im Grunde nicht gefehlt, und sie hätten sich geküsst. Immerhin hatte sie bereits in seinen Armen gelegen. Wie schade, dass sie die hohe Kunst der Verführung, von der Sarah sprach, nicht beherrschte!
»Antwortet mir! «, fuhr Sarah sie an.
Als Rebecca die Bilder vor ihrem geistigen Auge abgeschüttelt hatte, merkte sie, wie barsch Sarah mit einem Male war. Aus welchem Grund? Weil Rebecca Rupert nicht den Kopf verdreht hatte? War es nicht so, dass Hofdamen vor allem keusch sein sollten?
Rebecca spürte, wie Zorn in ihr aufstieg. Hatte Sarah so die anderen Hofdamen gefügig gemacht? Indem sie sie einschüchterte, ihnen das Selbstvertrauen raubte und durchblicken ließ, dass sie sie jederzeit auf die Straße setzen konnte? Wenn hier jemand um seinen Posten bangen musste, so war es Sarah Wheeler, die zweifelsohne ihre Kompetenzen überschritten hatte.
»Ich bin jedenfalls nicht naiv genug, um zu begreifen, dass es nicht zu meinen Pflichten am Hofe gehört, wildfremde Männer zu küssen, Lady Sarah. Außerdem wüsste ich nicht, dass Diebstahl zu den Aufgaben einer Hofdame gehört. Vielleicht sollten wir die Angelegenheit bei nächster Gelegenheit der Königin vortragen. «
Sarahs Gesicht wurde äschern. »Ihr wagt es, mir zu drohen? «
»Drohen? « Rebecca verdrehte in theatralischer Manier die Augen. »Ich bin davon überzeugt, dass Ihr die Erlaubnis der Krone habt, uns Hofdamen nach Belieben einzusetzen. Weshalb sollten meine Worte dann einer Drohung gleichkommen? Vielleicht habe ich einfach ein wenig überreagiert. Niemals würde ich mich erdreisten, die Königin mit solch trivialen Dingen zu belästigen. Aber es gäbe bestimmt noch den einen oder anderen einflussreichen Mann am Hofe, an den ich herantreten könnte. Ich denke dabei an... «
Es war gar nicht mehr nötig, die Namen einflussreicher Männer, wie des Premierministers, fallen zu lassen, mit dem ihre Mutter bekannt war. Sarah hatte offensichtlich verstanden, worauf sie hinauswollte. Es war ihr anzusehen, dass sie innerlich brodelte.
Plötzlich befiel Rebecca das komische Gefühl, dass sie ein wenig zu weit gegangen war. Was, wenn Lady Sarah dafür sorgte, dass sie schon am Morgen ihre Truhen packen musste? Nicht auszudenken, wie enttäuscht Lilly wäre...
Mit einem Seufzer lenkte Rebecca schließlich ein: »Was Ihr gerade erlebt habt, resultiert aus dem Gefühl, wie eine Kriminelle gehandelt zu haben. Bitte seht mir mein Verhalten nach! Wenn Ihr das nächste Mal jemanden braucht, um andere auszuspionieren, wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr jemanden bätet, der heroischer ist als ich. «
»Verstehe«, antwortete Sarah kurz und schürzte die Lippen. »Nutzlos und inkompetent zugleich. Aber was kann man schon von einem Backfisch erwarten, der bis vor Kurzem noch die Schulbank gedrückt hat? «
»Wie Ihr meint«, erwiderte Rebecca mit harter Stimme. Es war ihr unbegreiflich, wie ein Friedensangebot eine weitere Beleidigung nach sich ziehen konnte. »Ach, übrigens solltet Ihr heute Abend gefragt werden, ob Ihr jemanden entsandt habt, um Euren Schal zu holen, so tätet Ihr gut daran, die Frage zu bejahen. «
Sarah schnappte nach Luft. »Beim Allmächtigen, sagt jetzt, nicht, dass Ihr mich beim Namen genannt habt!
Weitere Kostenlose Bücher