Reid 3 Ungezähmte Sehnsucht
zurück. »Das Wort armselig gewinnt durch Euch eine völlig neue Bedeutung. «
»Und vermutlich werdet Ihr mir gleich erklären, wie Ihr zu dieser Erkenntnis kommt«, antwortete Rupert mit einem lauten Seufzen.
Sehr zu seiner Enttäuschung tat Rebecca genau das. »Die größten Sorgen mache ich mir darüber, was meine Mutter durchlebt, wenn sie von meinem Verschwinden erfährt. Sie wird vor Angst vergehen. Ich bin doch ihr einziges Kind! Außer mir hat sie keine Familie. Ihr werdet dem Schiff sagen müssen, dass es umkehren soll. «
Da Rupert den Eindruck hatte, dass sie es ernst meinte, versuchte er, das Lachen, das in seiner Brust aufstieg, zu unterdrücken - leider erfolglos. »Ich bin mir sicher, dass das Schiff nicht auf die Stimme der Vernunft hören wird. «
»Ihr wisst genau, was ich meine! «, fuhr sie ihn an.
Rebecca hatte natürlich recht, aber das änderte nichts an Ruperts Antwort. »Weder Schiff noch Kapitän werden auf die Stimme der Vernunft hören, meine Liebe. Falls Ihr vorhabt, ihn von Eurer Anwesenheit an Bord zu unterrichten, bereitet Euch darauf vor, dass er Euch eine horrend hohe Summe für die Überfahrt abknöpfen wird. Und stellt Euch darauf ein, dass er erst dann zurücksegeln wird, wenn der Laderaum geleert und anschließend wieder randvoll gefüllt ist. Wir befinden uns nämlich auf einem Handelsschiff. Erst kommt die Fracht, dann ganz lange nichts, und dann die Passagiere. «
»Dann kaufe ich ihm die Fracht eben ab! «
»Dazu müsstet Ihr eine prallgefüllte Geldbörse mit Euch führen. Habe ich nicht schon erwähnt, dass der Kapitän ein geldgieriges Monster ist? Er nahm mir fünfzig Pfund für die Überfahrt ab. Euch ist hoffentlich klar, wie unkultiviert das ist, oder? Ob er die Kabine vermietet, ist ihm einerlei, die Fracht ist ihm jedoch heilig. «
Rebecca ließ die Schultern hängen, ihre Unterlippe bebte. Aus Angst, sie könnte jeden Augenblick in Tränen ausbrechen, sprang Rupert panisch auf. »Wagt es ja nicht, mir ein schlechtes Gewissen wegen einer Sache zu machen, die Ihr eingefädelt habt! Mag sein, dass wir zusammen auf einem Schiff gestrandet sind, aber ich bin nicht gewillt, Eurem theatralischen Getue weiter beizuwohnen! «
Mit diesen Worten stapfte er aus der Kajüte. Er wollte selbst das Gespräch mit dem Kapitän suchen. Wenn es einen Weg gab, diesen Halsabschneider dazu zu bewegen, umzukehren, ohne ihm gleich eine Pistole an den Kopf zu halten, würde er ihn finden.
Kapitel 26
Es dauerte mehrere Stunden, bis Rebecca sich wieder beruhigt hatte. Drei weitere ungewollte Ausflüge zum Nachttopf halfen ihr wenigstens, den Kummer ihrer Mutter zu vergessen. Rebecca hoffte inständig, dass Flora erst ein wenig Zeit verstreichen ließ, ehe sie Kontakt zu Lilly aufnahm. Mit ein wenig Glück wäre sie wieder in London, ehe ihre Magd aktiv wurde.
Als Ruperts abfällige Bemerkungen versiegten, hatte Rebecca sich schlagartig besser gefühlt. Er hatte sogar die Freundlichkeit besessen, ihr ein nasses Handtuch zu reichen und sie zum Bett zu führen, auf dem sie nun zusammengerollt lag. Ein anständiger Zug, auch wenn eine einzige rechtschaffene Handlung die Vielzahl seiner Verfehlungen beileibe nicht wiedergutmachen konnte. Zugleich strafte er sie mit Missachtung, nachdem er kurz angebunden in die Kajüte zurückgekehrt war.
»Ihr werdet nach Frankreich reisen und damit Ende der Diskussion«, hatte er sie wissen lassen.
»Ihr habt also mit dem Kapitän... «
»Ich habe sogar Euren Vorschlag aufgegriffen und ihm angeboten, seine vermaledeite Ladung zu kaufen. Er weiß, dass das kein Problem für mich wäre. «
»Und er hat sich geweigert? Warum nur, wo er doch keinen finanziellen Nachteil dadurch hätte? «
»Er hat abgelehnt, weil er es kann. Und weil er sich dann daran ergötzen kann, mir ins Gesicht zu lachen. Ich hätte es von Anfang an wissen müssen. Schließlich kenne ich diesen Menschenschlag. Er hasst den Adel. Mein Geld nahm er gern, aber auf hoher See lässt er keine Gelegenheit aus, um sich als Gott aufzuspielen und mir das Gefühl zu geben, ich sei nichts weiter als der Dreck unter seinen Fingernägeln. «
Rupert war so ungehalten, dass er sich seither in tiefes Schweigen hüllte. Rebecca hatte sich jedoch nicht weiter daran gestoßen, hatte sie doch selbst genug Kummer. Mittlerweile war sie sich ganz sicher, dass ihre Übelkeit nicht von der Schwangerschaft herrührte, sondern dass sie seekrank war. Ab und an öffnete sie die Augen, um sich zu
Weitere Kostenlose Bücher