Reif für die Insel
standen endlose Reihen Wohnmobile auf Feldern inmitten eines winddurchpeitschten Niemandslandes, mit Blick auf eine unendliche Meeresbucht mit feuchtem Sand und tückischen Senkgruben und einem weit entfernten Streifen schmutzigem Meer. Komisch, ausgerechnet hier Urlaub zu machen, das heißt, bei britischem Wetter auf einem einsamen Feld meilenweit von allem abgeschnitten in einer Blechkiste zu schlafen und jeden Morgen mit Hunderten von Menschen aus identischen Blechkisten auszusteigen, einen Schienenstrang, eine zweispurige Landstraße und eine Wüstenei von Senkgruben zu überqueren, um schließlich seine Zehen in ein Meer voll Liverpooler Fäkalien zu tauchen. Ich kann gar nicht einmal genau sagen, was, aber irgendwas daran reizte mich überhaupt nicht.
Dann lichteten sich die Wohnwagen, die Landschaft um die Colwyn Bay erstrahlte plötzlich in all ihrer Schönheit und Erhabenheit, der Zug fuhr in scharfem Winkel nach Norden, und ein paar Minuten später waren wir in Llandudno.
Ein wahrhaft feiner, hübscher Ort, an einer weiten Bucht gelegen. Die breite Strandpromenade ist gesäumt von etepeten, aber anmutigen Hotels aus dem neunzehnten Jahrhundert, die mich in dem schwächer werdenden Licht an eine Parade viktorianischer Kindermädchen erinnerten. Llandudno wurde in der Mitte des vorigen Jahrhunderts als Seebad erbaut und kultiviert eine schön altmodische Atmosphäre. Lewis Carroll, der damals mit der kleinen Alice Liddell seine berüchtigten Spaziergänge über die Promenade machte, ihr spannende Geschichten von weißen Kaninchen und Wasserpfeife schmauchenden Raupen erzählte, zwischendurch immer wieder fragte, ob sie ihm mal eben ihren Schlüpfer leihen würde, damit er sich die fiebrige Schläfe abwischen könne, oder ob vielleicht ein paar harmlose Nacktfotos von ihr drin wären, würde heute nicht viele Veränderungen feststellen. Außer natürlich, daß die Hotels nun elektrisch beleuchtet werden und Alice – wieviel? – 127 Lenze zählen und einen armen, perversen Mathematiker nicht mehr in solche Erregung versetzen würde.
Zu meiner Verblüffung war die Stadt knüppeldickevoll mit Rentnern auf Wochenendbesuch. Busse von überall her parkten in den Seitenstraßen, jedes Hotel, in dem ich mich nach einem Zimmer erkundigte, war besetzt, und in jedem Speisesaal sah ich unzählige – regelrechte Ozeane – nickender weißer Häupter, die bei munterer Unterhaltung ihre Suppe schlürften. Der Herr allein weiß, was sie in dieser trostlosen Jahreszeit hier an die walisische Küste verschlagen hat.
Weiter hinten an der Promenade standen ein paar große, buchstäblich ununterscheidbare Pensionen, von denen einige »ZIMMER FREI«-Schilder in den Fenstern hängen hatten. Ich konnte unter acht oder zehn auswählen, was mich immer in gelinde Panik versetzt, weil ich mit unfehlbarem Instinkt danebengreife. Meine Frau braucht bloß eine Reihe Pensionen zu mustern und findet sofort diejenige heraus, die von einer freundlichen, kinderlieben, weißhaarigen Witwe geführt wird, wo das Bettlinnen schneeweiß und das Badezimmer blitzsauber sind. Ich kann im allgemeinen damit rechnen, mich für die zu entscheiden, die von einem habgierigen Burschen mit hängender Kippe im Mundwinkel geführt wird, der so hustet, daß man sich immer fragt, wo er den Schleim läßt. Mir schwante düster, daß das auch heute abend der Fall sein würde.
Alle Schilder priesen die Vorzüge der Etablissements – »FARBFERNSEHEN«, »ALLE ZIMMER MIT BAD«, »ZENTRALHEIZUNG« –, was mein unbehagliches Gefühl nur verstärkte. Wie konnte ich bei solch einer überwältigenden Fülle von Möglichkeiten eine kluge Wahl treffen? Eine Pension bot Satellitenfernsehen und Hosenpresse an, eine andere prahlte in besonders schwungvollen Kursivlettern mit einer »GÜLTIGEN FEUERVERSICHERUNGSPOLICE« – als wäre mir je in den Sinn gekommen, nach so etwas in einem Bed & Breakfast zu fragen. Wie war doch alles soviel einfacher in den Zeiten, als das höchste der Gefühle fließend heißes und kaltes Wasser im Zimmer war.
Ich entschied mich für ein Haus, das von außen ganz vernünftig aussah. Sein Schild versprach einen Farbfernseher und Möglichkeiten zum Kaffeemachen – mehr brauche ich heutzutage zu einem unterhaltsamen Samstagabend eigentlich nicht mehr –, doch in dem Moment, als ich den Fuß über die Schwelle setzte und den modrigen Mief von feuchtem Putz und abblätternder Tapete einatmete, wußte ich, es war eine schlechte Entscheidung.
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