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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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einer Schiffsfahrt beteiligt waren – Seeleute und Hafenarbeiter und Heerscharen aufgeregter Passagiere. Wenn man heute zu einem Hafen geht, findet man nur endlose Brachflächen mit zerbeulten Containern, und ein Typ hoch oben in einem Führerhäuschen schubst die Kästen hin und her.
    Wie romantisch war die Seefahrt einst, und das Mersey-side Maritime Museum fängt jedes kleinste bißchen davon ein. Ein Raum voll riesengroßer Schiffsmodelle im oberen Stockwerk hatte es mir besonders angetan – die standen früher bestimmt im Konferenzraum jeder großen Firma. Mann, waren sie herrlich. Sogar als Modelle. All die großen Liverpooler Schiffe waren da – die Titanic , die Imperator , die RMS Majestic (die ihr Leben als Bismarck begann und nach dem Krieg im Zuge der Reparationsleistungen konfisziert wurde) und die unsäglich schöne TSS Vauban mit ihren breiten Decks aus poliertem Ahorn und feschen Schornsteinen. Das Schild besagte, daß sie der Liverpool, Brazil and River Plate Steam Navigation Company Limited gehörte. Schon beim Lesen dieser Worte ergriff mich der dumpfe Schmerz, daß wir etwas so Wunderschönes nie wieder zu sehen bekommen. J. B. Priestley bezeichnete diese Ozeandampfer als die großar-tigsten Konstruktionen der Neuzeit, unser Äquivalent zu den Kathedralen, und er hatte vollkommen recht. Mit Entsetzen wurde mir klar, daß ich nie die Gelegenheit haben würde, mit weißem Panamahut und weißem Anzug über eine Gangway in eine Bar mit einem sich drehenden Deckenventilator zu schreiten. Schon niederschmetternd, wie ungerecht das Leben manchmal ist.
    Zwei Stunden lief ich durch das Museum und schaute mir die Ausstellungsstücke genau an. Ich wäre gern noch länger geblieben, aber ich mußte aus dem Hotel. Mit großem Bedauern ging ich durch die feinen viktorianischen Straßen in der Stadtmitte zurück ins Adelphi, wo ich meine Siebensachen packte und ausscheckte.
    Es zog mich nach Port Sunlight, der Modellsiedlung, die William Lever 1888 für die Arbeiter in seiner Seifenfabrik erbauen ließ, denn ich wollte sehen, wie sie im Vergleich zu Saltaire war. Ich ging zum Bahnhof Liverpool Central und nahm einen Zug. In Rock Ferry informierte man uns, daß wir wegen Bauarbeiten die Reise per Bus beenden müßten. Mir war das recht, denn ich hatte keine Eile, und vom Bus aus sieht man immer mehr. Wir fuhren eine Weile über die Halbinsel Wirral, dann sagte der Fahrer die Haltestelle für Port Sunlight an. Ich stieg als einziger aus, und zwar ein wenig perplex, weil es eindeutig nicht Port Sunlight war. Ich klopfte an die vordere Tür und wartete, daß sie aufschnurrte.
    »Entschuldigung«, sagte ich, »aber das sieht gar nicht wie Port Sunlight aus.«
    »Es ist ja auch Bebington«, sagte der Fahrer. »Port Sunlight kann ich nicht anfahren. Die Brücke ist zu niedrig.«
    Oh.
    »Wo genau ist denn Port Sunlight?« fragte ich – in eine blaue Qualmwolke gehüllt. Ich hievte mir den Rucksack über die Schulter und marschierte in der Hoffnung los, auf dem richtigen Wege zu sein. Wäre ich ja auch gewesen, wenn ich einen anderen Weg genommen hätte. Ich lief ein ganzes Stück, aber die Straße schien nirgend wohin zu führen, zumindest nicht nach Port Sunlight. Nach einer Weile kam ein alter Mann mit Schlägermütze angetrottet, und ich fragte ihn nach dem richtigen Weg.
    »Nach Port Sunlight! « brüllte er wie jemand, der meint, die Welt werde mit ihm taub, und andeutend, daß es ja wohl ziemlich albern sei, dort hinzuwollen. »Da müssen Sie mit dem Buuus fahren!«
    »Mit dem Bus?« fragte ich überrascht. »Wie weit ist es dennnoch?«
    »Mit dem Buuus müssen Sie!« wiederholte er nachdrücklicher.
    »Hab ich ja verstanden. Aber wo ist es denn?«
    Mit einem knochigen Finger stach er mir in eine weiche Stelle genau unter der Schulter. Aua, das tat weh. » Da müssen Sie mit dem Bus fahren! «
    »Das habe ich verstanden.« Du taube alte Nuß! Ich paßte mich seiner Lautstärke an und brüllte ihm ins Ohr: »Ich muß wissen, in welche Richtung ich gehen muß!«
    Er schaute mich an, als sei ich unerträglich schwer von Begriff. »Ein Scheißbus! Sie müssen mit dem Scheißbus fahren!« Mit den Kiefern mahlend, latschte er davon.
    »Danke! Stirb bald!« rief ich hinter ihm her und rieb mir die Schulter.
    Ich ging nach Bebington zurück und fragte in einem Laden, was ich natürlich sofort hätte tun sollen. Es stellte sich heraus, daß Port Sunlight gleich um die Ecke war. Ich hätte unter einer Eisenbahnbrücke

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