Reif für die Insel
her und dann über eine Kreuzung gehen müssen – oder umgekehrt. Ich weiß es nicht, weil es mittlerweile goß wie aus Kübeln und ich den Kopf so weit eingezogen hatte, daß ich kaum was sehen konnte.
Ich lief ungefähr eine halbe Meile, aber es lohnte jeden pitschnassen Schritt. Port Sunlight war wunderschön, eine richtige kleine Gartenstadt, und es bot einen viel fröhlicheren Anblick als die dichtgedrängten Steincottages von Saltaire. Hier gab es offene grüne Plätze und ein Pub und hübsche kleine, hinter viel Blattwerk halb verborgene Häuser. Keine Menschenseele war zu sehen, und nichts schien geöffnet zu sein – weder die Läden noch das Pub noch das Heritage-Centre noch die Lady Lever Art Gallery. Sehr frustrierend, aber ich machte das Beste daraus, das heißt, einen langen Spaziergang durch die verregneten Straßen. Ein bißchen überrascht war ich über eine Fabrik, die offenbar immer noch am laufenden Band Seife produzierte. Doch damit erschöpfte sich auch das, was Port Sunlight an einem feuchten Samstag außerhalb der Saison zu bieten hatte. Ich trottete wieder zur Bushaltestelle, an der ich erst vor so kurzer Zeit ausgestiegen war, und wartete eineinviertel Stunden in strömendem Regen auf einen Bus nach Hooton, was noch weniger lustig war, als es klingt.
Hooton tat sich nicht nur mit einem etwas lächerlichen Namen, sondern auch mit dem vergammeltsten britischen Bahnhof hervor, in dem ich je zu niesen hoffe. Die barackenähnlichen Warteräume waren tropfnaß, was mich nicht weiter störte, da ich ohnehin durchnäßt war. Mit sechs anderen Leuten wartete ich eine kleine Ewigkeit auf einen Zug nach Chester, wo ich in einen nach Llandudno umstieg.
Der war erfreulich leer. Ich setzte mich an einen Tisch für vier Personen und freute mich darauf, daß ich bald in einem netten Hotel oder einer Pension ein heißes Bad und ein üppiges Dinner zu mir nehmen würde. Eine kleine Weile betrachtete ich die Landschaft und zog dann mein Kingdom by the Sea heraus, um zu sehen, ob Paul Theroux etwas über diese Gegend sagte, das ich stehlen oder zu meinen eigenen Zwecken umfunktionieren konnte. Wie immer war ich überrascht, daß er, während er genau über diese Gleise ratterte, in eine lebhafte Diskussion mit seinen Mitreisenden vertieft war. Wie macht er das? Ganz abgesehen davon, daß mein Wagen fast leer war, ist mir völlig schleierhaft, wie man mit Fremden in Großbritanni-en ein Gespräch anknüpft. In Amerika ist es natürlich leicht. Man streckt die Hand aus und sagt: »Mein Name ist Bryson. Wieviel haben Sie letztes Jahr verdient?« Und schon ist man mitten in der lebhaftesten Unterhaltung.
Aber in England – oder wie hier, in Wales – ist es schwer, zumindest für mich. Ich habe noch nie ein Eisenbahngespräch geführt, das nicht desaströs endete oder das ich zumindest bedauert habe. Entweder platzte ich mit den falschen Sachen heraus (»Entschuldigen Sie, mir fällt einfach die ungewöhnliche Größe Ihrer Nase auf.«), oder es stellt sich heraus, daß der Mensch, dessen Gesellschaft ich gesucht habe, unter einer ernsthaften Geisteskrankheit leidet, die sich in Murmeln und langem, hilflosem Weinen äußert, oder Vertreter der Hoze-Blo Stucco Company ist und meine höfliche Anteilnahme an Spritzputz als ernsthaftes Interesse mißversteht und verspricht, das nächste Mal, wenn er in den Yorkshire Dales ist, vorbeizukommen und mir ein Angebot zu unterbreiten. Oder mein Gesprächspartner erzählt mir alles über seine Darmkrebsoperation, und ich muß raten, wo er den Beutel hat. (»Geben Sie auf? Schauen Sie, er ist unter meinem Arm. Na los, drücken Sie mal!«) Oder die Leute missionieren für die Mormonen oder für irgendwas von den zehntausend Dingen, mit denen ich nicht behelligt werden will. Es hat lange gedauert, bis mir dämmerte, daß die Sorte Mensch, die mit einem im Zug reden möchte, beinahe per definitionem die Sorte ist, mit der man selbst nicht in einem Zug reden möchte. Ich bleibe also nun meist schön für mich und halte mich, was mein verbales Amüsement betrifft, lieber an Bücher von kommuni-kativeren Typen wie Jan Morris und Paul Theroux.
Aber Ironie der Geschichte – als ich nun dasaß und den lieben Gott einen guten Mann sein ließ, kam ein Typ in raschelndem Anorak daher, erspähte das Buch und rief: »Aha, dieser Thoreau!« Ich schaute auf, er setzte sich auf dem Platz mir gegenüber in Positur. Ich schätzte ihn auf Anfang Sechzig, er hatte eine weiße Mähne und
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