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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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wunderhübsch und anscheinend ganz vergessen. Ich hatte das deutliche Gefühl, daß ich seit Jahren der erste Besucher war. In der Nähe flickte ein Bauer ein Stück zusammengefallene Mauer, und ich blieb stehen und beobachtete ihn eine Weile aus diskreter Entfernung. Denn wenn etwas noch besänftigender ist, als eine Bruchsteinmauer zu reparieren, dann, jemanden dabei zu beobachten. Ich erinnere mich, wie ich einmal, kurz nachdem wir in die Yorkshire Dales gezogen waren, einen Spaziergang machte und einen mir flüchtig bekannten Bauern traf, der eine Mauer auf einem einsamen Berg instand setzte. Es war ein mieser Januartag mit Nebel und Regen, und im Grunde gab es keinen triftigen Grund, daß er die Mauer wieder aufbaute. Die Wiesen auf beiden Seiten gehörten ihm, und das Gatter dazwischen stand sowieso immer offen, so daß die Mauer auch keine praktische Funktion hatte. Ich blieb eine Weile stehen, beobachtete ihn und fragte schließlich, warum er hier im kalten Regen die Mauer repariere. Er schaute mich mit diesem besonderen schmerzlichen Ausdruck an, den die Farmer in Yorkshire Gaffern und anderen Toren vorbehalten, und sagte: »Natürlich, weil sie zusammengefallen ist.« Daraus lernte ich, nie wieder einem Farmer aus Yorkshire eine Frage zu stellen, die nicht mit »ein Pint Tetley’s« beantwortet werden kann, und daß die britische Landschaft vor allem deshalb so unsäglich schön und zeitlos ist, weil so viele Bauern aus welchem Grund auch immer die Mühe auf sich nehmen, sie in ihrer Schönheit zu erhalten.
    Mit Geld hat es kaum etwas zu tun. Wußten Sie, daß die Regierung pro Kopf und Jahr weniger für die National-parks ausgibt als Sie für eine einzige Tageszeitung? Daß sie dem Königlichen Opernhaus in Covent Garden mehr gibt als allen zehn Nationalparks zusammen? Daß der Jahresetat für den Lake District National Park, ein Gebiet, das weit und breit als schönstes und ökologisch empfindlichstes gilt, 2,4 Millionen Pfund beträgt, ungefähr soviel wie der für eine einzige große Gesamtschule? Mit dieser Summe muß die Parkverwaltung den Park managen, zehn Informationszentren betreiben, 127 Vollzeitangestellte und – im Sommer – 40 Teilzeitbeschäftigte bezahlen, Gerätschaften und Wagen unter-halten und ersetzen, Landschaftsverbesserungen finanzieren, Bildungsprogramme durchführen und als lokale Baubehörde fungieren. Daß der Lake District durchweg so wunderbar und erholsam ist und zudem so sorgfältig erhalten wird, spricht gewaltig für die Leute, die hier arbeiten, leben und zu Besuch sind. Neulich habe ich gelesen, daß mehr als der Hälfte einer Gruppe von Briten, auf die Frage, auf was in ihrem Land sie stolz sein könnten, nichts einfiel. Na, dann sollen sie darauf stolz sein!
    Ein paar Stunden lang stapfte ich glücklich und zufrieden durch die üppige, heitere Landschaft zwischen Windermere und Conisten Water und wäre gern noch länger geblieben, aber es begann zu regnen – ein steter, nerviger Regen, für den ich Trottel wanderkleidungsmäßig nicht gerüstet war –, und ich hatte auch Hunger. Deshalb ging ich zur Fähre und fuhr nach Bowness zurück.
    Und eine Stunde und ein überteuertes Thunfisch-Sandwich später war ich zurück im Old England, starrte durch ein großes Fenster auf den nassen See hinaus und war so richtig lustlos und gelangweilt, wie es sich an verregneten Nachmittagen in einer feudalen Umgebung gehört. Um eine halbe Stunde herumzubringen, ging ich in den Salon und sah zu, ob ich nicht ein Kännchen Kaffee auftreiben konnte. Locker im Raum verteilt saßen alternde Colonels samt Gattinnen und schlampig gefalteten Daily Telegraphs .
    Die Colonels waren alle kurze, dicke Burschen mit Tweedjacket, pomadisiertem Silberhaar, rauhem Gebaren, das ein Herz aus Stein verbarg, und einem schmissigen Humpeln, wenn sie sich durch den Raum bewegten. Ihre großzügig gerougten und gepuderten Gattinnen sahen alle aus, als kämen sie gerade von einer Sarganprobe. Ich fühlte mich ernsthaft fehl am Platze und war deshalb überrascht, als mich eine grauhaarige Lady, die sich offenbar bei einem Erdbeben die Lippen geschminkt hatte, im freundlichen Plauderton ansprach. In einer solchen Situation brauche ich immer einen Moment, bis mir einfällt, daß ich nun ein einigermaßen ehrbar aussehender Mann mittleren Alters bin und kein schlaksiger junger Bauernbursche mehr, geradewegs von den Kornfeldern Iowas.
    Wie das so üblich ist, begannen wir mit ein paar Worten über das garstige

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