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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Kenntnis entzieht. »Wir haben gerade ein kleines Haus in Fag End in der Nähe der Tungsten Heath gekauft«, sagt zum Beispiel jemand. Aber ich habe noch nie davon gehört. Wie ist das bloß möglich?
    Ich hatte in meinem Rucksack einen A-Z-Stadtplan verstaut, den ich nun bei der erfolglosen Wühlerei nach
    einem halben Mars-Riegel entdeckte, den ich noch darin wähnte. Als ich den Plan herauszog und die dichtbedruckten Seiten durchblätterte, hätte ich meine Hand dafür ins Feuer gelegt, daß einige Viertel beim letzten Mal, als ich hineingeschaut hatte, noch nicht darin gewesen waren – Dudden Hill, Plashet, Snaresbrook, Fulwell Cross, Elthorne Heights, Higham Hill, Lessness Heath, Beacontree Heath, Bell Green, Vale of Health. Und ich weiß genau, wenn ich das nächste Mal hineinschaue, stehen wieder neue, andere Namen darin. Mir bleibt dies ein ebenso tiefes Mysterium wie die verschollenen Tafeln von Titianca.
    Für den A – Z hege ich die größte Bewunderung. Gewissenhaft verzeichnet und benennt er jeden Cricketplatz, jede Kläranlage, jeden vergessenen Friedhof und jede abgelegene kleine Vorstadtsackgasse und packt die längsten Namen auf engsten, verborgensten Raum. Ich blätterte das Straßenverzeichnis auf und vertiefte mich darin. Ich schätze, daß es alles in allem 45.687 Straßennamen in London gibt, darunter 21 Gloucester Roads (dazu ein großzügiger Batzen Gloucester Crescents, Squares, Avenues und Closes), 32 Mayfields, 35 Cavendishes, 66 Orchards, 74 Victorias, in Station Roads und Artverwandte, 159 Churches, 25 Avenue Roads, 35 The Avenues und zahllose andere Ableger. Richtig interessant klingen freilich wenige Namen. Ein paar erinnern an gesundheitliche Beschwerden (Glyceina und Burnfoot Avenue), ein paar an anatomische Begriffe (Thyrapia und Pendula Road), ein paar sind einen Hauch anrüchig (Cold Blow Lane) und ein paar wohltuend lächerlich (Cactus Walk).
    Eine halbe Stunde vergnügte ich mich auf diese Weise und freute mich sehr, daß ich eine Metropole von solch überwältigender, unbegreiflicher Komplexität betrat, und als ich den Stadtplan wieder in die Tasche steckte, wurde mir die zusätzliche Freude zuteil, den halb aufgegessenen Mars-Riegel zu finden, dessen angebissener Rand mit einer dekorativen kleinen Fusselkruste bedeckt war, die zwar nicht den Geschmack verbesserte, aber etwas nützliche Masse beigab.
    Victoria Station wimmelte von der üblichen Menge verirrter Touristen, herumlungernder Nepper und bewußtloser Betrunkener. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich auf diesem Bahnhof das letztemal jemanden erblickt habe, der aussah, als wolle er einen Zug nehmen. Als ich hinausging, fragten mich allein drei Leute, ob ich ein bißchen Kleingeld hätte – »Nein, aber danke der Nachfrage!« –, was vor zwanzig Jahren so nicht der Fall gewesen wäre. Damals besaßen Straßenbettler nicht nur den Reiz des Neuen, sondern sie hatten auch immer eine gute Story auf Lager, wie zum Beispiel, sie hätten ihre Brieftasche verloren und brauchten dringend zwei Pfund, um nach Maidstone zu fahren, weil sie Knochenmark für ihre kleine Schwester spenden müßten, oder so was in dem Stil. Nun aber fragen sie rundheraus nach Geld, was rascher geht, aber weniger interessant ist.
    Ich nahm ein Taxi zum Hazlitt’s Hotel in der Frith Street. Ich mag das Hazlitt’s, weil es sich mit Absicht verbirgt – es hat nicht einmal ein Schild vorn dran – und einen dadurch in eine seltene Position der Stärke gegenüber Taxifahrern bringt. An dieser Stelle möchte ich aber gleich betonen, daß die Londoner Taxifahrer ohne Frage die besten der Welt sind. Sie sind zuverlässig, meistens freundlich, stets höflich. Sie fahren sicher, halten ihre Fahrzeuge innen und außen makellos sauber und scheuen absolut keine Mühe, einen am vorderen Eingang des Ziels abzusetzen. Nur zwei Dinge an ihnen sind komisch. Zum einen können sie nicht mehr als 60 Meter geradeaus fahren. Ich habe es nie begriffen, aber einerlei, wo man sich befindet oder wie die Verkehrslage ist, alle 60 Meter klingelt eine kleine Glocke in ihrem Kopf, und sie machen urplötzlich einen Ausfall in eine Seitenstraße. Und wenn man an seinem Hotel oder am Bahnhof oder wo immer man hinwill, ankommt, fahren sie einen stets gern mindestens einmal ganz darum herum, damit man es von allen Seiten sieht, bevor man aussteigt.
    Das andere Charakteristikum an ihnen und der Grund, warum ich gern ins Hazlitt’s fahre, ist, daß sie es einfach nicht zugeben

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