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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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die riesige Druckerei. Wie Statisten in einem Hollywoodfilm gingen Leute vorbei – ein Arbeiter mit einer langen Holzbohle, zwei Frauen in schicken Geschäftskostümen, ein Typ mit Bauhelm und Klemmbrett, ein Bote mit einer großen Topfpflanze im Arm. Als wir die Times-Redaktionsgemächerbetraten, schnappte ich leise nach Luft. Es ist immer ein kleiner Schock, an den Ort zurückzukehren, an dem man vor vielen Jahren gearbeitet hat, und dann dieselben Gesichter wie damals zu sehen, die sich über dieselben Schreibtische beugen – eine plötzliche Vertrautheit, als sei man nie weggewesen, gepaart mit einer zutiefst und von Herzen empfundenen Dankbarkeit, daß man weg ist.
    Ich sah meinen alten Freund Mickey Clark, nun ein Medienstar, und fand Graham Searjeant in seiner kleinen Höhle aus Zeitungen und Pressemitteilungen, zum Teil aus den Tagen, als Mr. Morris Automobile herstellte, und begegnete vielen anderen Freunden und früheren Kollegen. Wie dann so üblich, verglichen wir Bäuche und kahle Stellen und stellten Listen von Toten und Vermißten auf. Es war so richtig schön. Dann nahmen sie mich mit zum Lunch in die Kantine. In dem alten Times-Gebäude in der Gray’s Inn Road war die Kantine in einem Kellerraum mit dem Charme und der Atmosphäre eines U-Bootes gewesen, und das Essen wurde einem von humorlosen, faden Damen hingeklatscht, bei denen man immer an Maulwürfe in Schürzen denken mußte. Diese Kantine jedoch war hell und geräumig, und es gab eine reiche Auswahl an verlockenden Gerichten, die von zwitschernden Cockney-Mädchen in hellen, sauberen Uniformen serviert wurden. Der Eßbereich selbst war bis auf den Ausblick unverändert. Wo sich einstmals ein schlammiger, von vergammelten Kanälen voller Bettgestelle und Einkaufswagen durchzogener Morast ausgebreitet hatte, standen nun Designerbauten und Schickimicki-Apartmenthäuser, die man immer in sanierten Hafenvierteln in Großbritannien findet und deren Balkone todsicher aus rot angestrichenen Stahlrohren bestehen.
    Mir fiel auf, daß ich zwar sieben Monate an dieser Stätte gewirkt, Wapping indes nie gesehen hatte. Und plötzlich war ich begierig, es anzuschauen. Als ich meinen Nachtisch verspeist und liebevoll Abschied von meinen Exkollegen genommen hatte, eilte ich durch die Sicherheitstore. Ich versäumte absichtlich, meinen Besucherpaß abzugeben, denn ich hoffte, daß Atombombenangriffssirenen losheulen und Männer in Chemiekriegsschutzanzügen losflitzen und das ganze Gelände nach mir absuchen würden. Die Pennington Street hinauf beschleunigte ich dann aber doch meine Schritte auf doppelte Geschwindigkeit und warf ängstliche Blicke zurück, weil mir plötzlich eingefallen war, daß das bei News International durchaus im Bereich des Möglichen lag.
    Ich war nie zu Fuß durch Wapping gegangen. Während des Streiks war das gefährlich. Die Pubs und Cafés des Bezirks wimmelten von übellaunigen Druckern und Sympathisanten – aus unerfindlichen Gründen waren schottische Bergleute besonders gefürchtet –, die einem Journalistenweichei mit Vergnügen Arme und Beine ausgerissen und diese für den abendlichen Umzug als Fackeln benutzt hätten.
    Besonders wenn abends nach einer großen Demonstration die Dunkelheit eingesetzt hatte, war es so gefährlich, daß die Polizei uns oft erst in den frühen Morgenstunden hinausließ. Wir wußten aber nie, wann wir losdurften, sondern mußten uns mit unseren Autos hintereinander aufstellen und dann Stunde um Stunde in der eisigen Kälte ausharren. Irgendwann zwischen 23 Uhr und ein Uhr dreißig – wenn ein beträchtlicher Teil der grölenden Massen zurückgeschlagen, in den Knast oder einfach heimgewandert war – wurden die Tore aufgerissen, und eine mächtige Flotte News-International-Lastwagen röhrte eine Rampe hinunter, wo sie von der verbleibenden Menge mit einem Hagel Ziegelsteinen oder Absperrgittern begrüßt wurde. Wir Restlichen wurden instruiert, uns im Konvoi eiligst durch die Seitenstraßen zu verdrücken.
    Das klappte einige Abende auch hervorragend, aber einmal wurden wir losgeschickt, als gerade die Pubs zumachten. Wir fuhren durch eine düstere, enge Straße, und plötzlich sprangen Leute aus dem Dunkel auf uns zu, traten gegen die Türen und wuchteten hoch, was immer sie zu fassen kriegten. Schreckliches Glassplittern und ungnädiges Gebrüll ertönten, aber zu meinem großen, nachhaltigen Erstaunen stieg ungefähr sechs Autos vor mir ein hibbeliger kleiner Mann vom Auslandsressort aus,

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