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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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und Nase auf. Es war wie in einem Wettbewerb häßlicher Häuser. Fast ein Jahrzehnt lang waren offenbar Architekten hierhergekommen und hatten gesagt: »Was, das findet ihr nicht gut? Wartet, bis ihr seht, was ich kann.« Und siehe da, was erhob sich stolz über all den unschönen neuen Bürobauten? Das häßlichste, klotzigste Monstrum Londons, der News-International-Komplex. Er sah aus wie die zentrale Klimaanlage für unseren Planeten.
    Ich meldete mich am Empfang und wartete davor, während mein Kollege gerufen wurde. Das gespenstischste an dieser Situation war nun, wie friedlich alles war, ganz im Gegensatz zu 1986. Ich erinnerte mich lebhaft an Demonstrantenhorden, berittene Polizisten und wütende Streikposten, die in einem Moment die Zähne fletschten und einen mit stieren Blicken anbrüllten und im nächsten sagten: »O hallo, Bill, hab dich gar nicht erkannt.« Und einem dann eine Zigarette anboten und darüber redeten, was für eine schreckliche Sache das ja nun alles sei. Und es stimmte, denn unter den 5000 Entlassenen waren Hunderte und Aberhunderte kreuzbraver, anständiger Archivare, Büroangestellte, Sekretärinnen und Boten, deren einzige Sünde es war, einer Gewerkschaft anzugehören. Die meisten trugen es uns, die wir noch arbeiteten, nicht persönlich nach, und das werde ich ihnen ewig hoch anrechnen. Aber ich gestehe, daß ich damals bei dem Gedanken, Vince werde mit einer Machete aus der Menge treten, doch immer ein bißchen schneller durch das Tor ging.
    Ungefähr 400 Meter weiter an der Nordseite des Geländes, an der Pennington Street, steht ein niedriges, fensterloses Backsteingebäude, ein altes Speicherhaus, Überbleibsel aus den Zeiten, als das East End ein florierender Hafen und Warenumschlagplatz für die City war. Ausgerechnet dieses Haus wurde, ausgeweidet und mit allen High-Tech-Insignien versehen, zum Büro der Times   und der Sunday Times und ist es bis zum heutigen Tage. Und während wir uns in dem langen Winter 1986 dort drinnen mit der neuen computerisierten Technologie abplagten, hörten wir die Sprechchöre und Tumulte, das gedämpfte Hufeknallen der Polizeipferde, das Geschrei und Gekreische einer Schlagstockattacke. Sehen konnten wir nichts, weil das Haus keine Fenster hatte. Es war schon sehr seltsam. Wir schauten uns alles in den Neun-Uhr-Abendnachrichten an, traten dann hinaus und kriegten es live geboten. Die bittersten, gewalttätigsten Arbeitskämpfe, die man bis dato auf den Straßen Londons erlebt hatte, sie spielten sich direkt vor dem Haupteingangstor ab. Es war bizarr.
    Um die Moral aufrechtzuerhalten, ließ uns die Firma jeden Abend Sandwiches und Bier bringen, was man als nette Geste empfand, bis man feststellte, daß die Großzügigkeit sorgfältig so kalkuliert war, daß jedes Belegschaftsmitglied ein schlabbriges Schinkensandwich und eine Halbe-Liter-Dose pißwarmes Heineken-Bier erhielt. Wir bekamen auch Hochglanzbroschüren mit den Plänen der Firma für den Tag danach. Ich entsinne mich deutlich, daß auf den Perspektivzeichnungen der Architekten ungewöhnlich geschmeidige, kerngesunde Journalisten in einem großen Schwimmbad von einem niedrigen Sprungbrett hechteten oder am Rand saßen und die Füße ins Wasser baumeln ließen. Andere Exkollegen erinnern sich an Squash-Plätze und Fitneßräume, und einer sogar an eine Bowlingbahn. Fast alle aber wissen noch, daß eine große moderne Bar abgebildet war, eingerichtet wie eine Erster-Klasse-Lounge in einem internationalen Flughafen.
    Schon vom Sicherheitskordon aus sah ich nun etliche neue Gebäude und war sehr gespannt, genau zu erfahren, mit was für Annehmlichkeiten die Belegschaft letztendlich beglückt worden war. Als mich mein alter Kollege – dessen Namen ich hier nicht preiszugeben wage, sonst findet er sich plötzlich in die Kleinanzeigenabteilung versetzt – am Empfang abholte, fragte ich ihn sofort. »Klar erinnere ich mich an das Schwimmbad«, war die Antwort. »Davon haben wir, als der Streik vorüber war, nie wieder was gehört. Aber wir wollen nicht ungerecht sein, sie haben unsere Arbeitszeit verlängert. Wir dürfen jetzt alle vierzehn Tage einen Tag extra arbeiten, ohne Bezahlung natürlich.«
    »Damit wollen sie euch wohl zeigen, wie sehr sie euch schätzen?«
    »Na, sie würden uns ja nicht bitten, mehr zu arbeiten, wenn sie nicht mit uns zufrieden wären, oder?«
    Wohl wahr.
    Wir schlenderten durch das Gelände, auf der einen Seite war das alte Backsteinspeicherhaus, auf der anderen

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