Reif für die Insel
Cricketplatz und Klub, Küchen, Nähstube und Wäscherei, einen Fußpfleger und einen Friseur. Einmal in der Woche zeigten sie einen Film in einer Art Ballsaal, und sie hatten sogar ihre eigene Leichenhalle. Die Patienten besorgten die Gartenarbeit, bei der man keine scharfen Werkzeuge brauchte, und hielten den Park makellos gepflegt. Es hatte etwas von einem Country-Club für Verrückte. Ich fühlte mich pudelwohl.
Eines Tages, während eines von Mr. Happys periodischen Besuchen – ich habe nie herausgefunden, was er während seiner Abwesenheit tat –, wurde ich zu einer Nachbarstation namens »Florence Nightingale« geschickt, um eine Flasche Thorazine zu borgen, mit dem wir die Patienten ruhigstellten. Flo, wie das Personal sie nannte, war eine seltsame, düstere Station. Die Menschen hier waren viel schwerer gestört, sie wanderten herum oder schaukelten unentwegt in Stühlen mit hohen Rückenlehnen. Während die Schwester mit rasselnden Schlüsseln losging, um das Thorazine zu holen, starrte ich die vor sich hinsabbelnden Massen an und dankte Gott, daß ich harte Drogen aufgegeben hatte. Am anderen Ende des Raums arbeitete eine hübsche, junge Schwester, die so viel reine Güte ausstrahlte und sich um diese hilflosen Wracks mit solch unerschöpflicher Energie und solchem Mitgefühl kümmerte, daß ich dachte: So einen Menschen, genau so einen brauche ich.
Sechzehn Monate später heirateten wir in der Kirche, an der ich nun auf dem Weg zur Christchurch Road vorbeiging. Die großen Häuser in der Christchurch Road hatten sich nicht verändert, außer, daß sie nun alle solche Alarmanlagen mit Scheinwerfern besaßen, die immer völlig unvermittelt spät in der Nacht aufleuchten.
Virginia Water ist ein interessanter Ort. Er wurde hauptsächlich in den Zwanzigern und Dreißigern gebaut und hat zwei schmale Geschäftsstraßen, die von einem dichten Netz Privatstraßen umgeben sind, die sich durch und um den berühmten Wentworth Golf Course winden. Zwischen den Bäumen stehen riesige, oft von VIPs bewohnte Villen, in einem Stil, den man Englische Regionalprotzarchitektur nennen könnte. Sie haben reichverzierte Dächer voller Giebel und überkandidelter Schornsteinköpfe, breite, unterschiedlich gestaltete Veranden, Fenster in seltsamen Größen, wenigstens einen kleinen ausladenden Kaminvorbau und massenhaft Kletterrosen über adretten kleinen Vorbauten. Als ich es zum erstenmal sah, glaubte ich durch die Seiten eines House and Garden-Hefts aus dem Jahre 1937 zu wandeln.
Was Virginia Water damals aber seinen besonderen Charme verlieh, und das meine ich ganz ernst, waren die herumwandernden Irren. Viele Patienten lebten seit Jahren, oft Jahrzehnten, in der Heilstätte, und man konnte die meisten durchaus ins Dorf lassen. Einerlei, wie wirr sie im Kopf waren oder wie stockend ihr Gang, egal, wie sehr sie murmelten und grummelten, sich plötzlich ganz unterwürfig gerierten oder auf hundertfache Weise demonstrierten, daß sie nur gemütlich zum Lunch aus waren, sie fanden stets den Weg nach Hause. Jeden Tag konnte man damit rechnen, hier oder dort auf ein lustiges Grüpplein Irrer zu stoßen, die Zigaretten oder Süßigkeiten kauften, eine Tasse Tee tranken oder leise ins Nichts hinein schimpften. So entstand eine der außer-gewöhnlichsten Gemeinden in England, Reich und Irr lebte friedlich miteinander. Sowohl die Bewohner als auch die Ladenbesitzer waren einfach großartig und verhielten sich nicht so, als sei hier was komisch, nur weil ein Mann mit wirrer Mähne und Schlafanzugjacke in der Ecke einer Bäckerei stand und einem Fleck an der Wand einen Vortrag hielt oder mit rollenden Augen und allen Anzeichen eines Lächelns an einem Ecktisch im Tudor
Rose saß und Zuckerstücke in seine Minestrone warf. Es war, und immer noch meine ich es ernst, ein Anblick, bei dem einem das Herz aufging.
Unter den etwa fünfhundert Patienten war ein bemerkenswertes, irres Genie namens Harry. Harry hatte den Verstand eines kleinen, monomanischen Kindes, aber man konnte ihm jedes beliebige Datum aus Gegenwart oder Zukunft nennen, und er sagte einem sofort, was für ein Wochentag es war. Wir testeten ihn oft mit einem ewigen Kalender, und er irrte sich nie. Man konnte ihn nach dem Datum des dritten Samstags im Dezember 1935 fragen oder des zweiten Mittwochs im Juli 2017, und er sagte es einem schneller als irgendein Computer. Noch außergewöhnlicher, wenn auch damals nur lästig, war seine Macke, sich mehrmals am Tage an das
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