Reif für die Insel
unattraktiven Dinge geradezu ins Gesicht – Burger Kings und Prontaprints und Super Drugs und all die anderen mannigfaltigen Feinde der englischen High Street, in Gebäude gequetscht, ohne die geringste Achtung vor deren Stil oder Alter, die Schaufenster zugepappt mit Sonderangebotsplakaten. Im Stadtzentrum an einer Ecke, die eine reine Augenweide hätte sein sollen, stand ein kleines Haus, in dem sich ein Lunn-Poly-Reisebüro befand. Die oberen Stockwerke zierte dezent prächtiges Fachwerk; unten war die Fassade zwischen den übergroßen Schaufensterscheiben mit handgeschriebenen Zetteln für Billigflüge nach Teneriffa und Malaga übersät und gekachelt – gekachelt! – mit einem Mosaik kleiner kunterbunter Vierecke, die aussahen wie die Toilette in King’s Cross. Grauenhaft! Ich blieb davor stehen und versuchte mir vorzustellen, was für ein Team von Architekten, Firmendesignern und Stadtplanern zusammenkommen mußte, um ein elegantes Fachwerkhaus aus dem siebzehnten Jahrhundert so zu vergewaltigen. Es gelang mir nicht. Und dabei sah es nicht einmal schlimmer aus als viele andere Häuserfronten in der Straße.
Manchmal meine ich, daß die Briten mehr kulturelles Erbe besitzen, als ihnen guttut. In einem Land, in dem ein so erstaunlicher Überfluß daran herrscht, betrachtet man es allzu leicht als unerschöpflich. Hier ein paar Zahlen: 445000 denkmalgeschützte Gebäude, 12000 mittel-alterliche Kirchen, 600000 Hektar öffentliche Grünanlagen, 120000 Meilen Wander- bzw. öffentliche Wege und allein 600000 bekannte archäologisch bedeutsame Stätten (98 Prozent davon stehen nicht unter Denkmalschutz). Und wissen Sie, was? Allein in meinem Dorf in Yorkshire gibt es mehr Gebäude aus dem siebzehnten Jahrhundert als in ganz Nordamerika! Und es ist bloß ein obskurer Weiler mit nicht mal einhundert Einwohnern. Rechnen Sie das hoch, und Sie werden sehen, daß der Schatz an alten Häusern, Scheunen, Kirchen, Viehhürden, Mauern, Brücken und anderen Bauwerken in Großbritannien unermeßlich ist. Allenthalben gibt es eine solche Fülle, daß man leicht zu der irrigen Auffassung kommt, man könne ganze Teile herausreißen – hier eine Fachwerkfassade oder ein paar georgianische Fenster, dort ein paar hundert Meter uralter Hecke oder Bruchsteinmauer –, und es sei immer noch jede Menge übrig. In Wirklichkeit wird das Land zu Tode geknabbert.
Mich befremdet, wie locker die Bauvorschriften in solch einem sensiblen Bereich sind. Wußten Sie, daß ein Hausbesitzer selbst in denkmalgeschützten Vierteln alle Originaltüren und -fenster herausnehmen, das Dach mit Pfannen im Haziendastil und die Fassade mit künstlicher Stein Verkleidung verhunzen, die Gartenmauer abreißen, den Rasen mit Mosaik bepflastern und eine Sperrholzveranda anbauen kann und sich vor dem Gesetz trotzdem noch als jemand profiliert, der den sorgfaltig bewahrten Charakter der Gegend erhält? Das einzige, was er im Grunde nicht darf, ist, das Haus abzureißen – aber selbst das gilt nur als Kavaliersdelikt. 1992 riß eine Baufirma fünf Häuser in einem unter Denkmalschutz stehenden Viertel in Reading ab, kam vor Gericht und mußte sage und schreibe 675 Pfund Strafe bezahlen.
Obwohl sich in den letzten Jahren so etwas wie ein Gewissen regt, können Hausbesitzer im ganzen Land praktisch immer noch mit ihren Häusern machen, was sie wollen. Farmer dürfen riesige Blechscheunen hinklotzen und Hecken umgraben, British Telecom die roten Telefonzellen abreißen und durch Duschkabinen ersetzen, Benzinfirmen ihre Tankstellen mit riesigen Baldachinen bespannen, einerlei, wo sie stehen, und Firmen architektonisch wertvollste Gebäude mit ihren Plastiklogos bepflastern, und man kann nichts dagegen tun. Doch, eine Kleinigkeit schon: sich als Kunde dort nicht mehr blicken lassen. Voll Stolz kann ich Ihnen berichten, daß ich seit Jahren in keiner Boots-Drogerie mehr gewesen bin und auch so lange keinen Fuß dort hineinsetzen werde, bis sie die Vorderfronten ihrer Hauptfilialen in Cambridge, Cheltenham, York und anderen Städten, die ich dieser Liste beliebig hinzufügen könnte, restauriert haben, und ich würde mich auch bereitwillig bis auf die Knochen durchnässen lassen, wenn ich innerhalb eines Radius von zwanzig Meilen von meinem Haus eine Tankstelle ohne flappenden Baldachin fände.
Fairerweise muß ich aber sagen, daß Salisbury viel mehr auf sich hält als die meisten anderen Städte. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Gerade weil die Stadt so schön
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