Reif für die Insel
Landstraßen waren von dichten Hecken gesäumt und die Hänge hübsch gesprenkelt mit Wäldern, Farmen und cremefarbenen Tupfern, Schafen. In der Ferne erstreckte sich das weite, leuchtende, silberblaue Meer bis zu einem Gebirge kulleriger Haufenwolken. Tief unter mir schmiegte sich Swanage in eine felsige Landzunge am Rand einer hufeisenförmigen Bucht, und hinter mir lagen Studland, die flachen Marschen von Poole Harbour und Brownsea Island und noch weiter dahinter endloses diesiges, sorgfältig kultiviertes Ackerland. Es war zu schön, um es in Worte zu fassen, einer der seltenen Momente, in denen das Leben vollkommen erscheint. Als ich wie gebannt ganz allein dort stand, schob sich eine Wolkenbank vor die Sonne, und das Licht strömte in prächtigen, schimmernden Bahnen hindurch. Es sah aus wie Rolltreppen zum Himmel. Eine endete zu meinen Füßen, und einen Augenblick lang hätte ich schwören mögen, ich hörte himmlische Weisen, perlende Harfenklänge, und eine Stimme, die zu mir sagte: »Ich habe die Hunde gerade in ein Nest Kreuzottern geschickt. Schönen Tag noch.«
Ich ging zu einer Steinbank, die extra für solche Schlappschwänze wie mich auf diesem hohen Gipfel steht – ich sage ja, wie oft stößt man in Großbritannien auf solch liebenswürdige kleine Gesten! –, und holte meine topographische Karte von Purbeck heraus. In der Regel habe ich es nicht so mit Karten, aber diese Dinger hier sind allererste Sahne. Wenn man aus einem Land kommt, wo die Kartenzeichner dazu neigen, alle kleineren landschaftlichen Merkmale wegzulassen, ist man immer wieder beeindruckt von der Detailfülle auf dieser Serie im Maßstab 1:25000. Sie führen jede Runzel und jeden Grassoden in der Landschaft auf, jede Scheune und Pumpe, jeden Meilenstein und jedes Hügelgrab. Sie unterscheiden zwischen Sandgruben und Kiesgruben und zwischen normalen Stromleitungen an Pfählen und Hochleistungsstromleitungen an Masten. Diese hier verzeichnete sogar die Steinbank, auf der ich nun saß. Erstaunlich, eine Karte anzuschauen und bis auf den Quadratmeter genau zu erfahren, wo man seinen Allerwertesten hingepflanzt hat.
Während ich sie in aller Muße studierte, bemerkte ich etwa eine Meile gen Westen einen historisch offenbar bedeutsamen Obelisk. Weil ich wissen wollte, warum jemand an einem solch abgelegenen, schwer zugänglichen Ort ein Denkmal errichtet, machte ich mich auf und ging am Kamm des Berges entlang, um nachzuschauen. Es wurde die längste Meile, die ich meiner Erinnerung nach je gelaufen bin. Ich marschierte durch Weideland, Herden nervöser Schafe, stieg über Zauntritte und Gatter, ohne daß es den Anschein hatte, daß ich meinem Ziel näher kam, aber ich ließ mich nicht beirren, weil – hm, weil, manchmal ist man eben so blöd. Schließlich erreichte ich einen bescheidenen, stinknormalen Granitobelisken. Die verwitterte Inschrift enthüllte mir, daß die Wasserwerke von Dorset im Jahre 1887 eine Leitung über diesen Punkt hinaus verlegt hatten. Hipp, hipp, hurra, dachte ich, spitzte die Lippen, zog meine Karte wieder zu Rate, sah, daß sich nur ein kleines bißchen weiter etwas befand, das Giant’s Grave hieß, und dachte nun: Na, das klingt doch interessant.
Ich trabte los, um es mir anzusehen. Aber wissen Sie, da liegt der Hase im Pfeffer. Hinter jeder Höhenlinie erwartet einen immer eine interessante Sehenswürdigkeit, und man könnte sein Leben lang von einem Steinkreis zu einer römischen Siedlung (den Überresten natürlich) und weiter zu einer Abteiruine gehen, und man sähe doch nie mehr als einen Bruchteil, selbst innerhalb eines kleines Gebietes. Insbesondere dann, wenn man wie ich selten etwas findet. So erging es mir mit Giant’s Grave. Es muß ganz in der Nähe gewesen sein, aber genau weiß ich es nicht. Der einzige echte Nachteil der topographischen Karten ist, daß sie einem vielleicht manchmal zu viele Details geben. Wenn man unter so vielen Sehenswürdigkeiten die Wahl hat, redet man sich leicht ein, daß man immer mehr oder weniger dort ist, wo man sein will. Man erblickt einen Baumhain, streicht sich übers Kinn und denkt: Hm, mal sehen, wenn das Hanging Snot Wood ist, ist diese komische Erhebung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Hügelgrab Jumping Dwarf, in welchselbigem Falle dort auf dem Hügel Desperation Farm liegt. Und dann bricht man voller Zuversicht auf und stößt irgendwann auf eine Sehenswürdigkeit, mit der man nun überhaupt nicht gerechnet hat, wie zum
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