Reif für die Insel
und Kirchen mit eckigen Türmen, die wie Figuren aussahen,
die von einem überdimensionalen Schachspiel übrig-geblieben sind. Ich sank in das glückliche Delirium, in das mich die Bewegung einer Eisenbahn immer schaukelt, und bemerkte die Namen der kleinen Dörfer, durch die wir fuhren, nur halb – Pinhead, West Stuttering, Bakelite, Ham Hocks, Sheepshanks.
Es dauerte länger als eineinhalb Stunden, bis wir die 38 Meilen nach Barnstaple zurückgelegt hatten. Ich stieg dort aus und eilte auf einer langen Brücke über den rasch dahinfließenden Taw in die Stadt. Eine halbe Stunde wanderte ich durch enge Geschäftsstraßen und eine große, unfreundliche Markthalle, in der ein paar Leute Kunstgewerbegegenstände verscherbelten, und war froh, daß ich hier nicht bleiben mußte.
Barnstaple war früher einmal ein größerer Eisenbahn-knotenpunkt mit drei Bahnhöfen, aber nun gibt es nur noch den einen, von dem aus gelegentlich ein Bummelzug nach Exeter geht, und einen Busbahnhof am Fluß. Dort ging ich hin. Zwei Frauen saßen bei geöffneter Tür in einem Büro. Sie unterhielten sich mit diesem drolligen Akzent – »Oi be drinkin zoider« –, der in diesem Teil der Welt vorherrscht.
Ich erkundigte mich nach Bussen Richtung Minehead, etwa dreißig Meilen weiter östlich an der Küste. Sie schauten mich an, als hätte ich nach Verbindungen nach Feuerland gefragt.
»Ach, zu dieser Jahreszeit kommen Sie nicht nach Moinhead, bestimmt nicht«, sagte die eine.
»Nach dem ersten Oktober gibt es keine Busse nach Moinhead«, fiel die zweite ein.
»Und nach Lynton und Lynmouth?«
Angesichts meiner Naivität schnaubten sie verächtlich. Wir waren in England. Wir schrieben das Jahr 1994.
»Porlock?«
Schnauben.
»Dunster?«
Schnauben.
Das beste, was sie vorzuschlagen hatten, war, mit dem Bus nach Bideford zu fahren und dort umzusteigen. »Vielleicht ist die Scarrrrlet Loin von Bideford aus in Betrieb, kann sein, kann aber auch nicht sein, genau weiß ich das nicht.«
»Gibt es dort noch mehr solche Menschen wie Sie?« wollte ich fragen, unterließ es aber.
Angesichts so vieler Unwägbarkeiten blieb ich draußen stehen und überlegte angestrengt, was ich nun tun sollte. All meine sorgfältig zurechtgelegten Pläne waren zerstoben. Ich zog mich in ein Haus mit dem kuriosen Namen Royal and Fortescue Hotel zurück, wo ich bei einer stummen, reizlosen Kellnerin ein Thunfisch-Sandwich und einen Kaffee bestellte und meinen Fahrplan aus dem Rucksack wühlte. Ich stellte fest, daß ich dreiundzwanzig Minuten hatte, um mein Sandwich zu verzehren, meinen Kaffee zu trinken und die Meile zurück zum Bahnhof zu galoppieren, um den Zug nach Exeter zu erwischen und dort von vorn zu beginnen.
Ich schlang mein Sandwich beinahe ganz herunter, trank zwei Schluck Kaffee, warf Geld auf den Tisch und raste voll Angst und Schrecken zum Bahnhof, damit ich den Zug nicht verpaßte und womöglich in Barnstaple nächtigen mußte. Ich schaffte es mit knapper Not. Als ich in Exeter ankam, marschierte ich direktemang zu den Bildschirmen. Mein Entschluß stand fest: Ich würde den ersten Zug nach Irgendwo nehmen.
So kam es, daß ich mich in den Händen des Schicksals, sprich einem Zug nach Weston-super-Mare wiederfand.
Elftes Kapitel
Also ich finde, es gibt drei Gründe, nie unglücklich zu sein.
Erstens, daß man geboren worden ist. Das ist an und für sich schon eine bemerkenswerte Leistung. Wußten Sie, daß Ihr Vater jedesmal, wenn er ejakulierte (was ehrlich gesagt, ganz schön oft der Fall war), ungefähr fünfundzwanzig Millionen Spermien produzierte, das heißt, die Hälfte der Bevölkerungszahl Großbritanniens? Um allerdings geboren zu werden, mußten Sie nicht nur unter den wenigen Ladungen Sperma sein, die auch nur eine theoretische Lebenschance hatten – das schon ziemlicher Dusel –, sondern auch das Rennen gegen zirka 24 999 999 andere zappelnde Konkurrenten gewinnen.
Zweitens, Sie leben. Einen winzigkleinen Augenblick im Verlauf der Ewigkeit haben Sie das wunderbare Privileg zu existieren. Endlose Äonen nicht. Irgendwann ist Schluß. Daß sie nun genau in diesem nie zu wiederholenden Moment hier sitzen, dieses Buch lesen, Bonbons essen, von heißem Sex träumen, prüfend in Ihren Achselhöhlen schnüffeln – einfach existieren –, ist so phantastisch, daß man es kaum glauben kann.
Drittens haben Sie jede Menge zu essen, leben in einer Zeit (relativen!) Friedens und können sich glücklich schätzen, daß »Tie a
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