Reif für die Insel
Armaturenbretts gab es zwei kreisrunde Skalen gleicher Größe. Klar, auf der einen konnte man die Geschwindigkeit ablesen, aber die andere gab mir ein totales Rätsel auf. Sie hatte zwei Zeiger, deren einer sich sehr langsam vorwärtsbewegte und deren anderer sich überhaupt nicht zu bewegen schien. Ich schaute sie eine Ewigkeit an, bis mir schließlich dämmerte – und ich lüge nicht –, daß es eine Uhr war.
Als ich endlich Woodstock, zehn Meilen nördlich von Oxford, erreicht hatte, war ich rechtschaffen erschöpft und heilfroh, krachend an einem Bordstein halten und das Ding ein paar Stunden verlassen zu können. Ich muß sagen, ich mag Woodstock sehr. Angeblich ist es im Sommer grauenhaft, aber ich habe es immer nur außerhalb der Saison besucht, und da war es wunderschön. Seine georgianischen Häuser strahlen etwas Selbstbewußtes, ja, Hoheitsvolles aus, es gibt viele gemütliche Pubs und die verschiedensten interessanten Läden, deren Fassaden ausnahmslos unverdorben sind. Im Dorf gibt es kein Stück Messing, das nicht glänzt. Die Post hat ein altmodisches schwarzsilbernes Schild, viel eleganter und stilvoller als das neue rotgelbe Logo, und sogar die Barclays Bank hat wahrhaftig dem Drang widerstanden, die Front ihres Hauses mit schwimmbeckenblauen Plastikplatten zu verkleiden.
In der High Street rangierten die Volvos, und die tweedige Landaristokratie flanierte mit Weidenkörben am Arm vorbei. Auch ich schlenderte an den stolzen Häusern und Läden entlang, blieb hier und da vor Schaufenstern stehen und stand auf einmal vor dem Eingang zu Blenheim Palace und dem Park. Unter einem imposanten Zierbogen befand sich ein Kartenhäuschen mit Schild, dem ich entnahm, daß der Eintritt für einen Erwachsenen 6,90 Pfund kostete. Genaueres Studium enthüllte, daß das die Erlaubnis zur Besichtigung des Schlosses, des Schmetterlingshauses sowie die Benutzung der Miniatureisenbahn, des Abenteuerspielplatzes, ja, der ganzen Palette der kulturellen Zerstreuungen beinhaltete. Weiter unten hieß es, der Zutritt zum Park allein betrage 90 Pence. Man kann mich ja leicht verarschen, aber niemand knöpft mir ohne guten Grund 90 Pence ab. Meine stets zuverlässige topographische Karte besagte, daß hier öffentliches Wegerecht bestand, also schritt ich mit höhnischem Grinsen und der Hand auf der Brieftasche durch das Tor, und der Mann im Kartenhäuschen war klug genug, sich nicht mit mir anzulegen.
Sobald man das Tor passiert, ist alles wie verwandelt. Gerade noch war man in einem geschäftigen Dorf, und dann betritt man ein Arkadien, durch das nur noch ein paar Gainsborough-Gestalten promenieren müßten, damit es vollkommen wäre. Vor mir breitete sich fast ein Hektar sorgfältig komponierter Landschaft aus – behäbige, dicke Kastanien- und anmutige Ahornbäume, Rasenflächen, glatt wie Billardtische, ein Zierteich, der von einer eindrucksvollen Brücke überspannt wurde, und im Zentrum all dessen der ehrwürdige Barockbau des Blenheim Palace. Alles sehr edel.
Ich folgte dem Weg, der sich an dem vollen Besucherparkplatz vorbei durch den Schloßpark wand, und weiter am Rand des Pleasure Gardens entlang. All das wollte ich mir auf dem Rückweg genauer ansehen, denn nun ging ich erst mal zum Ausgang an der Straße nach Bladon. Bladon ist ein unter heftigem Güterverkehr bebendes, unscheinbares kleines Nest, doch in seiner Mitte befindet sich der Friedhof, auf dem Winston Churchill begraben liegt. Es hatte angefangen zu regnen, und da es eine ganz schön lange Wanderung an einer vielbefahrenen Straße entlang war, zweifelte ich allmählich, ob sich die Mühe lohnte. Als ich ankam, war ich aber froh. Der Friedhof war wunderhübsch und sehr abgeschieden und Churchills Grab so unauffällig, daß ich ziemlich lange zwischen den kippenden Grabsteinen suchen mußte. Ich war der einzige Besucher. Churchill und Clemmie teilen sich eine einfache, scheinbar vergessene Grabstelle, was ich überraschend anrührend und eindrucksvoll fand. Da ich ja nun einmal aus einem Land komme, wo selbst die obskursten und nichtsnutzigsten Präsidenten eine riesige Gedenkbibliothek kriegen, wenn sie den Löffel abgeben – sogar Herbert Hoover hat weit draußen in Iowa eine Grabstätte, die wie das Hauptquartier der Welthandelsorganisation aussieht –, fand ich es doch sehr bemerkenswert, daß nicht mehr als eine bescheidene Statue auf dem Parliament Square und dieses simple Grab an den größten Staatsmann Großbritanniens im zwan-zigsten
Weitere Kostenlose Bücher