Reif für die Insel
weiter. Nach ein paar hundert Metern lichteten sich die Bäume, und man kam auf einen Rasen, das heißt, eine Art Übungsgelände mit Kletternetzen und Balken auf Stelzen. Was war hier bloß? Etwas entfernt befand sich neben dem See ein merkwürdig gepflasterter Bereich – wie ein Parkplatz im Niemandsland. Mit einem kleinen Freudenschrei erkannte ich die Eislaufbahn des Herzogs. Nun war ich schon so weit auf dem Grundstück, daß es auf Diskretion auch nicht mehr ankam. Mutig schritt ich fürbaß, bis ich direkt vor dem Haus stand. Es war nobel, aber seltsam charakterlos und außerdem mit etlichen neuen Anbauten plump verziert. Weiter hinten lag ein Cricketfeld mit einem todschicken Pavillon. Menschen waren nicht zu sehen, aber auf dem Parkplatz standen ein paar Wagen. Es beherbergte eindeutig irgendeine Institution – vielleicht ein Schulungszentrum für IBM oder so. Aber warum dann so anonym? Ich wollte schon hingehen und durch ein Fenster linsen, da ging eine Tür auf, und ein Mann in Uniform kam mit strenger Miene auf mich zu. Auf seinem Jackett stand »MOD Security«. O nein!
»Hallo«, sagte ich und lächelte ein wenig blöde.
»Ist Ihnen klar, Sir, daß Sie unbefugt den Besitz des Verteidigungsministeriums betreten?«
Ich schwankte einen Moment, unschlüssig, ob ich meine Tourist-aus-Iowa-Nummer abziehen sollte (»Wie bitte, ist das etwa nicht der Hampton Court Palace? Ich habe gerade 175 Pfund für ein Taxi bezahlt.«) oder ein umfassendes Geständnis ablegen sollte. Ich gestand. Mit leiser, respektvoller Stimme erzählte ich ihm, daß ich mein Leben lang von dem fünften Herzog von Portland fasziniert sei, mich seit Jahren danach verzehrte, diesen Ort zu besuchen, und nicht habe widerstehen können, einfach mal kurz hineinzuschauen, nachdem ich schon von so weit herkomme. Und das traf genau den richtigen Nerv, offenbar hegte er selbst eine gewisse Zuneigung zum alten W. J. C. Er eskortierte mich mit allen militärischen Ehren zum Rand des Anwesens, schien aber im stillen erfreut zu sein, jemanden vor sich zu haben, der seine Interessen teilte. Er bestätigte, daß der mit Platten ausgelegte Bereich die Eislaufbahn sei, und zeigte mir, wo die Tunnel verliefen – praktisch überall. Sie seien immer noch intakt, erzählte er, dienten jedoch nun als Depots. Der Ballsaal und die anderen unterirdischen Gemächer würden noch regelmäßig für Veranstaltungen und als Sporthalle benutzt. Das Verteidigungsministerium habe gerade eine Million Pfund für die Renovierung des Ballsaals hingeblättert.
»Aber was ist das hier denn jetzt?« fragte ich.
»Ein Übungszentrum, Sir.« Mehr sagte er nicht. Doch wir hatten sowieso das Ende der Einfahrt erreicht. Um sicherzugehen, daß ich wirklich verschwand, sah er mir hinterher. Ich latschte über das große Feld zurück und blieb dann stehen, um noch einmal das Dach von Welbeck Abbey zu betrachten, das sich über den Baumwipfeln erhob. Wie schön, daß das Verteidigungsministerium die Tunnel und unterirdischen Räume bewahrte, aber eine regelrechte Schande war es doch, daß es so kategorisch der Öffentlichkeit verschlossen war. Schließlich produziert die britische Aristokratie nicht alle Tage jemanden, der so ausgenippt war wie W. J. C. Scott-Bentinck und seine Marotten so auslebte. Der Gerechtigkeit halber muß ich aber sagen, daß sie ihr Bestes tun.
Diesen Gedanken in meinem Herzen bewegend, drehte ich mich um und machte mich auf den langen, mühseligen Marsch zurück nach Worksop.
Sechzehntes Kapitel
Ich verbrachte einen netten Abend in Lincoln, wanderte vor und nach dem Dinner durch seine steilen, uralten Straßen, bewunderte die riesige, dunkle kompakte Kathedrale mit ihren zwei gotischen Türmen und freute mich sehr darauf, sie am nächsten Morgen zu besichtigen. Ich mag Lincoln, teils, weil es so hübsch und gut erhalten, teils, weil es so angenehm abgeschieden ist. Es wurde einmal als Mont Saint Michel auf dem Festland bezeichnet, weil es sich über das große Meer der Ebene von Lincolnshire erhebt, und der Vergleich stimmt. Wenn man auf die Karte schaut, sind Nottingham und Sheffield gleich um die Ecke, aber man hat das Gefühl, als sei Lincoln weit weg und ganz vergessen. Und das gefällt mir sehr.
Ungefähr zur Zeit meines Besuches stand im Independent ein interessanter Bericht über einen seit langem schwelenden Streit zwischen dem Dekan der Kathedrale und seinem Finanzdezernenten. Offenbar hatte letzterer mit Frau, Tochter und einem Freund
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