Reif für die Insel
selbst dieses hoffnungslose kleine Viertel wirkt irgendwie trostlos, als ob es keine Zukunft habe. Zur Zeit meines Besuchs waren zwei Drittel der Häuser eingerüstet, und der Rest war »Zu vermieten«. Die renovierten sahen schick und edel aus, aber trotzdem so, als würden sie für immer und ewig leerstehen und zur Gesellschaft auch noch die zwei Dutzend anderen bekommen, die gerade renoviert wurden.
Es wäre doch eine gute Idee, dachte ich, wenn die Regierung Milton Keynes evakuieren und die Versicherungsgesellschaften und andere Firmen anweisen würde, in Städte wie Bradford zu ziehen, damit in diesen echten Städten wieder ein bißchen Leben entstünde. Dann würde Milton Keynes wie Little Germany jetzt werden, ein Ort der Leere, durch den die Leute Spazierengehen und sich ihre Gedanken machen könnten. Aber das wird natürlich nie geschehen. Die Regierung würde so etwas nie anordnen, und die Marktkräfte würden es auch nicht bewirken, denn die Firmen wollen große, moderne Gebäude mit viel Parkraum. Wer kann ihnen das verübeln? Und außerdem: selbst wenn ein Wunder geschehen und man für diese herrlichen alten Bauten Mieter finden würde, bliebe es doch immer nur eine kleine, gut erhaltene Enklave im Herzen einer sterbenden Stadt.
Trotzdem hat auch Bradford seine Reize. Das Alhambra Theatre, 1914 in einem aufregend überladenen Stil mit Minaretten und Türmen erbaut, ist kostspielig und gekonnt renoviert worden und (mit Ausnahme vielleicht des Empire in Hackney) immer noch das beste Theater für Weihnachtsspiele. (Die ich im übrigen absolut liebe.) Ein paar Wochen nach diesem Besuch fuhr ich wieder dorthin, um Billy Pearce in Aladdin zu sehen. Ob ich gelacht habe? In die Hose habe ich mir gemacht! Das Museum of Film, Photography, Imax Cinema und noch was (ich kann mir den genauen Namen einfach nicht merken) hat einen willkommenen Lebensfunken in eine Ecke der Stadt gebracht, die in puncto Unterhaltungswert auf die schrecklichste Eissporthalle der Welt setzen mußte. Es gibt ein paar gute Pubs. In einem, dem Mannville Arms, trank ich ein Bier und aß eine Portion Chili. Das Mannville ist in Bradford so bekannt, weil der Yorkshire Ripper sich dort rumgetrieben hat, es sollte aber wegen seines Chili berühmt sein, das ist nämlich hervorragend.
Danach hatte ich immer noch eine Stunde Zeit. Ich ging zum Museum of Television, Photography und tralala, das ich wertschätze, weil man gratis hineinkommt und weil ich solche Einrichtungen gerade in der Provinz sehr löblich finde. Ich schaute mich in den verschiedenen Ausstellungsräumen um und sah mit einem gewissen Erstaunen, wie sich Heerscharen von Leuten von erheblichen Summen Geldes trennten, um die Imax-Show um zwei Uhr zu sehen. Ich habe diese Imax-Vorführungen schon häufiger gesehen und verstehe, ehrlich gesagt, ihren Reiz nicht. Ich weiß, die Leinwand ist riesengroß und die Bildwiedergabe umwerfend, aber die Filme sind immer sturzlangweilig, und man muß sich die todernsten, bleiernen Kommentare anhören, wie die Menschheit dies erobert oder in Erfüllung ihres Schicksals jenes vollbracht hat. Die letzte Vorstellung, zu der die Massen strömten, hieß wahrhaftig Schicksal im Weltraum , dabei sieht doch ein Blinder mit Krückstock, daß die Zuschauer nur eine Fahrt mit der Achterbahn und einen kleinen Sturzkampfflug erleben wollen, so nach dem Motto:
»Vorsicht! Hier kommt mein Mittagessen.«
Die Leute bei Cinerama Corporation begriffen das vor etwa vierzig Jahren sehr gut und machten die todesmutige Achterbahnfahrt zum Schwerpunkt ihrer Werbekampagne. Ich habe This Is Cinerama zum ersten und letzten Mal bei einem Familienausflug nach Chicago 1956 gesehen. Der Film lief zwar schon seit 1952, war aber in den großen Städten ein solcher Kassenmagnet (und daher in der Provinz wie Iowa unerreichbar), daß er Jahr um Jahr lief. Meine Erinnerungen waren vage – 1956 war ich erst vier Jahre alt –, aber liebevoll, und jetzt konnte ich es nicht erwarten, ihn zu sehen.
Ja, ich war so aufgeregt, daß ich eine halbe Stunde zu früh aus dem Museum aller möglichen Dinge einschließlich Zelluloid hinaus- und zum Eingang des
Pictureville Cinema in der Nähe hinüberrannte. Dort stand ich dann eine Viertelstunde allein im eiskalten Nieselregen, bis sich die Pforten öffneten. Ich erwarb eine Karte, wobei ich darauf achtete, einen Sitz in der Mitte mit viel Platz zum Brechen zu bekommen, und begab mich in den Saal. Es war ein wunderschönes Kino mit
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