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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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und Sägeböcke waren. Außerdem war ich verwirrt, als ich einen Friseursalon und zwei moderne Häuser sichtete, und regelrecht bekümmert, daß der Kiosk viel schicker und ordentlicher war als früher. Doch ich fühlte mich trotzdem auf vertrautem, heiligem Boden. Scharen von Leuten gingen ehrfürchtig schweigend die Straße auf und ab, identifizierten Haustüren und lugten durch Spitzenvorhänge. Ich hielt mich an eine freundliche, kleine Dame mit silberblaugetöntem Haar unter einem durchsichtigen Regenhut, den sie offenbar aus Frischhaltefolie fabriziert hatte, und sie informierte mich nicht nur darüber, wer nun in welchem Haus wohnte, sondern auch, wer damals vor langer Zeit in welchem Haus gewohnt hatte, so daß ich recht bald auf dem aktuellen Stand war. Und genauso bald war ich von einer ganzen Schar kleiner, silberblaugetönter Damen umgeben, die meine entsetzten Fragen (»Wie? Deirdre hat einen jungen Liebhaber? Nein, so was!«) beantworteten und gegebenenfalls ernsthaft nickten. Es ist eine zutiefst erregende Erfahrung, diese berühmte Straße auf und ab zu gehen – Sie grinsen vielleicht, aber Sie wissen ganz genau, daß Sie das gleiche empfinden würden –, und es war doch ein regelrechter Schock, an den beiden Enden um die Ecke zu gehen und sich wieder in einem Vergnügungspark zu befinden.
    Ich wollte nicht länger als eine Stunde dortbleiben, war aber noch nicht annähernd soweit, mich der Führung durch die Studios anzuschließen oder im Coronation Street -Geschenkeladen umzutun, als ich auf die Uhr schaute und, vor Schreck schnaubend, sah, daß es fast ein Uhr war. In leichter Panik eilte ich zurück zu meinem weit entfernten Hotel, weil ich Angst hatte, daß ich für einen weiteren Tag bezahlen müßte oder zumindest meine Hosen in der Hosenpresse verbrutzelt wären.
    Eine Dreiviertelstunde später stand ich dann am Rand des Piccadilly Gardens mit einem schweren Rucksack und völlig unentschlossen, wo ich als nächstes hinfahren sollte.
    In die Midlands, hatte ich vage vorgehabt, denn auf meinen früheren Streifzügen hatte ich mit dieser edlen, wenn auch herausfordernden Region immer kurzen Prozeß gemacht. Aber als ich so dastand, hielt neben mir ein verblaßter roter Doppeldeckerbus mit dem Fahrtziel WIGAN, und da war mein Schicksal entschieden. Zufallig guckte auch Der Weg nach Wigan Pier hinten aus meiner Hosentasche, und ohne Bedenken – klugerweise – nahm ich das als Zeichen.
    Ich kaufte eine einfache Fahrkarte und setzte mich hinten aufs Oberdeck. Wigan kann nicht mehr als 15 oder 16 Meilen von Manchester entfernt sein, doch es dauerte fast den ganzen Nachmittag, bis wir dort waren. Wir ruckelten und schwankten durch endlose Straßen, die immer gleich aussahen. Sie waren von Reihenhäusern gesäumt, von denen jedes vierte ein Friseursalon war, und reich bestückt mit Autowerkstätten und Backsteineinkaufsvierteln mit der ewig gleichen Ansammlung von Supermärkten, Banken, Videotheken, Imbißbuden und Wettbüros. Wir fuhren durch Eccles und Worsely, dann durch ein überraschend schickes Stück und weiter nach Boothstown und Tyldesley und Atherton und Hindley und in andere Orte, von denen ich noch nie gehört hatte. Der Bus hielt so oft an, daß es einem manchmal vorkam wie alle sechs Meter, und an fast jeder Haltestelle stiegen viele Leute aus und ein. Die meisten sahen arm und abgearbeitet und zwanzig Jahre älter aus, als sie wahrscheinlich waren. Außer ein paar alten Männern mit Schlägermützen und gelbbraunen, bis zum Kragen zugezogenen Marks-&-Spencer-Jacken waren die Fahrgäste alle Frauen im mittleren Alter mit den abenteuerlichsten Frisuren und dem heiseren, lockeren Lachen von Kettenraucherinnen. Aber sie waren durch die Bank freundlich und munter und offenbar mit ihrem Schicksal durchaus zufrieden. Sie nannten sich »Darlin’« und »Love«.
    Am bemerkenswertesten – das heißt, je nachdem, wie man es betrachtet, vielleicht auch am wenigsten bemerkenswert – war, wie ordentlich und gepflegt die endlosen kleinen Reihenhäuser waren, an denen wir vorbeifuhren. Sie alle verrieten, daß es bescheiden und genügsam zuging, aber jedes Fenster blitzte, jede Treppe war strahlend sauber und jedes Gesims glänzte frisch gestrichen. Ich nahm Der Weg nach Wigan Pier heraus und tauchte ein wenig in eine andere Welt ein, die zwar genau in dieser Gegend angesiedelt war, aber so gar nicht zu dem paßte, was ich sah, wenn ich von den Seiten aufblickte.
    Orwell – und vergessen wir

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