Reif für die Insel
Plastikspeisekarten und gräßlichem Essen oder Hotelspeisesäle, in denen man für drei bombastisch beschriebene und enttäuschend verkochte Gänge 17,95 Pfund hinblättert.
Schließlich landete ich in Chinatown, das sich der Welt mit einem großen farbenprächtigen Torbogen ankündigt und dann sofort ganz kleinlaut wird. Zwischen großen Bürogebäuden gab es ein paar Restaurants, aber ich kann nicht behaupten, daß ich meinte, in eine kleine Ecke des Orients geraten zu sein. Die größeren, besseren Restaurants waren proppenvoll, so daß ich schließlich in eines im zweiten Stock ging, wo die Einrichtung schäbig, das Essen bestenfalls genießbar und die Bedienung total gleichgültig war. Auf der Rechnung bemerkte ich einen Extraposten neben einer Rubrik, die als »S. C.« ausgewiesen wurde.
»Was ist denn das?« fragte ich die Kellnerin, die, möchte ich doch gern bemerken, die ganze Zeit ungewöhnlich mürrisch gewesen war.
»Suhvice chawge – Bedienung.«
Ich schaute sie überrascht an. »Warum gibt es dann, bitte sehr, auch eine Rubrik für Trinkgeld?«
Sie zuckte gelangweilt mit den Schultern: Nicht mein Problem.
»Das ist ja furchtbar«, sagte ich. »So verführen Sie die Leute ja dazu, zweimal Trinkgeld zu geben.«
Sie seufzte schwer, als habe sie das schon hundertmal gehört.
»Sie haben eine Beschwerde? Sie wollen Chef sprechen?«
Das Angebot klang, als müßte ich mich, wenn ich denn davon Gebrauch machte, mit dem Chef und ein paar seiner Jungs in einer dunklen Gasse auseinandersetzen. Ich beschloß, die Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen, und machte lieber einen langen Spaziergang durch Manchesters feuchte, schlecht beleuchtete Straßen. Ich kann mich nicht erinnern, je durch eine dunklere Stadt gelaufen zu sein. Und wo ich mich genau herumgetrieben habe, weiß ich auch nicht mehr, denn ich finde die Straßen in Manchester immer seltsam ununterscheidbar. Ich hatte das Gefühl, als liefe ich immer durch dieselbe.
Zum Schluß kam ich zu einem großen dunklen Koloß, dem Arndale Centre. Was für ein Monstrum! Wahrscheinlich ist es ja ganz nett, wenn man in einer Stadt, in der es soviel regnet wie in Manchester, alles unter einem Dach einkaufen kann, und wenn überhaupt, sind diese Dinger in der Stadt natürlich viel sinnvoller als außerhalb. Aber nachts war das Arndale Centre nur zehn Hektar Totenstille und ein massives Hindernis auf dem Weg zur Stadtmitte. Durch die Fenster sah ich, daß es seit meinem letzten Besuch aufgemotzt, ja richtig hübsch geworden war, aber die Außenfassade war immer noch so schrecklich gekachelt, daß es aussieht wie die größte Herrentoilette der Welt. Als ich durch die Cannon Street ging, sah ich auch, wie drei junge Männer mit kurzgeschorenen Schädeln und reich tätowierten Armen es just zu diesem Behufe nutzten. Sie achteten kaum auf mich, doch ich merkte plötzlich, daß es spät wurde und sich anständige Burschen wie ich auf den Straßen nicht gerade mehr tummelten. Ich beschloß, zurück ins Hotel zu gehen, bevor ich auch noch angepinkelt wurde.
Ich erwachte früh und begab mich mit dem festen Entschluß auf die regennassen Straßen, mir ein konkretes Bild von der Stadt zu verschaffen. Mit Manchester tue ich mich nämlich diesbezüglich schwer. Jede andere britische Großstadt hat eine städtebauliche Dominante, die sich mir eingeprägt hat: Newcastle die Brücke, Liverpool das Liver Building und die Docks, Edinburgh die Burg, Glasgow den riesigen Kelvingrove Park und die Häuser von Charles Rennie Mackintosh, sogar Birmingham hat den Bull Ring. (Und es soll ihn auch ruhig behalten!) Aber Manchester ist für mich der ewige weiße Fleck – ein Flughafen mit einer Stadt dran. Sagen Sie Manchester zu mir, und mir kommen nur verschwommene, unscharfe Vorstellungen in den Sinn. Ena Sharpies, L. S. Lowry, Manchester United, ein Plan, Straßenbahnen einzuführen, weil es sie in Zürich oder irgend so einer Stadt gibt und sie dort sehr gut zu funktionieren scheinen, das Hallé Orchestra, der alte Manchester Guardian und die eher rührenden Bemühungen, ungefähr alle vier Jahre den Zuschlag für die nächsten olympischen Sommerspiele zu ergattern, normalerweise mit ehrgeizigen Vorhaben gespickt, eine 400-Millionen-Pfund-Radrennbahn oder eine 250-Millionen-Pfund-Tischtennisanlage oder sonst ein Gebäude zu errichten, das lebenswichtig für die Zukunft einer untergehenden Industriemetropole ist.
Außer Ena Sharpies und L. S. Lowry könnte ich keinen einzigen
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