Reif für die Insel
Pacemakers noch elf Tage im Kopf haben möchten. Er ertönt, wenn Sie an Bord gehen, und er ertönt, wenn Sie von Bord gehen, und beträchtliche Zeit dazwischen. Ich entschied mich am nächsten Morgen für die Bootsfahrt, weil ich dachte, daß ein bißchen Sitzen und ein Ausflug auf dem Wasser genau das Richtige bei meinem Mordskater wären, aber von den unausweichlichen Klängen von »Ferry ’cross the Mersey« brummte mir der Schädel nur noch schlimmer.
Wenn der Song einmal nicht lief, spielten sie eine Kassette ab, die auf die berühmten Sehenswürdigkeiten hinwies, die man vom Deck aus sah, aber die Akustik war schrecklich, und achtzig Prozent von dem, was immer sie sagten, wurde sofort vom Wind weggetragen. Ich hörte nur Fetzen wie »drei Millionen« oder »größte der Welt«, aber ob von Ölraffineriekapazitäten oder Derek Hattons Anzügen die Rede war, blieb mir verborgen. Im wesentlichen sagten sie, daß dies hier einmal eine bedeutende Stadt war und jetzt Liverpool ist.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mag Liverpool sehr. Vielleicht sogar am meisten von allen englischen Städten. Aber man kann sich leider des Gefühls nicht erwehren, daß es ein Ort mit mehr Vergangenheit als Zukunft ist. Wenn man an der Reling der Fähre lehnt und den unendlich großen Hafen betrachtet, glaubt man nicht, daß bis vor kurzem – und davor zweihundert stolze, blühende Jahre lang – Liverpools zehn Meilen Docks und Werften direkt oder indirekt Beschäftigung für 100000 Menschen boten. Tabak aus Afrika und Virginia, Palmöl aus dem Südpazifik, Kupfer aus Chile, Jute aus Indien, alle erdenklichen Güter kamen hier durch auf ihrem Weg, in etwas Nützliches verwandelt zu werden. Ebenso und nicht weniger bedeutend, machten etwa zehn Millionen Menschen hier halt, die ein neues Leben in der Neuen Welt beginnen wollten, angelockt von Geschichten, daß dort das Geld auf der Straße lag, und der Möglichkeit, selbst auch riesige Reichtümer zu erwerben, oder, wie meine eigenen Vorfahren, von der schwindelerregenden Aussicht, die nächsten anderthalb Jahrhunderte in Iowa Schnee zu schippen und Tornados auszuweichen.
Liverpool wurde die drittreichste Stadt im Empire. Nur London und Glasgow hatten mehr Millionäre. 1880 verzeichnete es höhere Steuereinnahmen als Birmingham, Bristol, Leeds und Sheffield zusammen, obwohl diese zusammen doppelt soviel Einwohner zählten. Die Hauptverwaltungen der Reedereien Cunard und White Star Lines waren in Liverpool, und es gab noch zahllose andere, nun meist vergessen – Blue Funnel, Bank Line, Coast Line, Pacific Steam Line, McAndrews Lines, Elder Dempster, Booth. Von Liverpool aus verkehrten mehr Schiffahrtslinien, als es heute Schiffe gibt. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man am Hafen nur noch Gerry Marsdens nöliges Geträller hört.
Der Niedergang erfolgte in einer einzigen Generation. 1966 war Liverpool nach London immer noch der zweitbefahrendste Hafen in Großbritannien. Aber 1985 war es so tief gesunken, daß es kleiner und ruhiger war als selbst Teeside und Hartlepool, Grimsby und Immingham. Doch in seiner Glanzzeit war es etwas ganz Besonderes. Der Seehandel brachte Liverpool nicht nur Reichtum und Arbeit, sondern auch eine kosmopolitische Atmosphäre, mit der es wenige Städte aufnehmen konnten, und die hat es nicht verloren. Hier fühlt man sich immer noch, als sei man wo.
Von der Fähre ging ich zum Albert Dock. Es gab einmal Pläne, ihn trockenzulegen und in einen Parkplatz zu verwandeln – manchmal scheint es wie ein Wunder, daß in diesem armen, ins Straucheln geratenen Land überhaupt noch etwas stehengeblieben ist –, aber nun sind die Docks natürlich geschrubbt und luxussaniert und die alten Lagerhäuser in Bürohäuser, Wohnungen und Restaurants für Leute mit Telefonen in den Aktentaschen verwandelt worden. Es gibt auch eine Filiale der Tate Gallery und das Merseyside Maritime Museum.
Letzteres liebe ich, nicht nur, weil es so gut gemacht ist, sondern weil es einem so deutlich vermittelt, wie Liverpool war, als es noch eine große Hafenstadt war, als es noch so etwas wie produktive Geschäftigkeit, Tatkraft und Unternehmergeist auf der Welt gab, was heute nicht mehr der Fall zu sein scheint. Ach, wie gern hätte ich in einem Zeitalter gelebt, als man zu einem Hafen laufen und zuschauen konnte, wie mächtige Schiffe mit großen Ballen Baumwolle beladen und schwere braune Säcke mit Kaffee und Gewürzen entladen wurden und Hunderte von Menschen an
Weitere Kostenlose Bücher