Rein Wie Der Tod
Tasche etwas gefunden hatte.
Hatte sie vielleicht doch die Wahrheit gesagt?
Sie musste die Wahrheit gesagt haben. Wenn sie einen Polizeieinsatz riskiert hatte, als sie Zahid verließ, war sie offensichtlich clean. Sie hätte keine Drogen bei sich gehabt. Ihre Reaktion, als er das Feuerzeug fand, war echt gewesen.
Aber warum gelang es ihm nicht, sich zu entspannen, wenn er an all das dachte?
Karl Anders und er hatten eine Geschichte. Sie hatten eine gemeinsame Vergangenheit. War das der Grund für seine Unruhe und Nervosität?
Nein. Das konnte es nicht sein. Was damals geschehen war, lag über zwanzig Jahre zurück. Hier ging es um Veronika Undset - eine Frau mit vielschichtiger Persönlichkeit. Sie war in der Lage gewesen, in schwierigen Situationen die Fassung zu bewahren. Sie platzte nicht mit Reaktionen heraus, sondern wartete ab, schätzte die Situation ein ...
Er wog das Handy in der Hand. Zweimal hatte er angerufen, ohne Erfolg. Jetzt musste Karl Anders von sich aus anrufen.
Er steckte das Handy wieder in die Tasche. Sein Hemd klebte an seinem Körper. Der Boden war trocken, die Bäume des Parks hatten alle Feuchtigkeit aufgesogen, sodass das Gras gelb und verbrannt aussah. Er sehnte sich nach einer Dusche. Sah auf die Uhr. Es war an der Zeit, den alten Brummbären abzuholen.
* * *
Frølich saß am Steuer, und aus dem Radio ertönte Dandy Warhols, als er den Sognsveien hinunterfuhr. You were the last high . In der Kurve bei der Einfahrt zur Universität überholten sie die Straßenbahn. Am Ringveien mussten sie bei Rot halten, und die Straßenbahn schoss wieder an ihnen vorbei. Gunnarstranda, der in Gedanken versunken dagesessen hatte, drehte das Radio leiser und sagte:
»Bitte das Ganze noch mal zum Mitschreiben. Du hast sie verhaftet, als sie morgens bei Zahid losging, hast ein paar Gramm Kokain bei ihr gefunden und sie in die Ausnüchterungszelle gesteckt - und das alles hast du mit der Verlobten deines Freundes gemacht?«
»Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nichts von ihrer Beziehung. Das habe ich erst am Abend danach festgestellt. Karl Anders hat seinen Vierzigsten gefeiert. Wir hatten uns viele Jahre nicht mehr gesehen, aber ich war eingeladen, und die Einladung kam schon vor Wochen. Ich komme bei der Party zur Tür rein und sehe sie! Sie war genauso geschockt wie ich, aber wir haben es beide geschafft, die Fassung zu bewahren.«
»Und sie besucht also Kadir Zahid, nachts, allein, obwohl sie mit einem anderen verlobt ist? Was für ein Typ ist dieser Karl Anders? Neigt er zur Eifersucht?«
Es wurde grün. Frank Frølich legte den Gang ein. Er dachte über die Frage nach und wählte seine Worte mit Bedacht:
»Früher einmal kannte ich Karl Anders gut. Sehr gut. Aber damals waren wir jung und offen, weißt du, und direkt. Wir wussten alles voneinander, so wie Jugendliche das eben tun. Aber das ist viele Jahre her.«
»Du kennst ihn nicht mehr?«
»Wir haben schon lange keinen Kontakt mehr gehabt.«
»Warum nicht?«
Frank Frølich ließ die Scheibe herunter. Er hatte auf die Frage gewartet, aber er war noch nicht bereit für die Antwort. Stattdessen konzentrierte er sich übertrieben auf den Verkehr. Die Ampel an der Kreuzung bei Adamstuen blinkte gelb. Aggressive Autofahrer drängten sich vor. Er hielt an und wartete auf eine Lücke im Strom. Die ließ eine Weile auf sich warten. Die nächste Straßenbahn fuhr heran. Das Auto hinter ihnen hupte. Frølich fuhr an und schwang die Faust gegenüber einem Fahrer, der gerade noch bremsen konnte.
Er fuhr die Theresesgate entlang. Schielte zu Gunnarstranda hinüber, der immer noch auf eine Antwort wartete. Er sagte nichts.
»Wenn ich diesen Karl Anders zum Verhör vorlade, nehmen wir den Videoraum. Ich will, dass du zusiehst«, sagte Gunnarstranda schließlich.
Unwillkürlich warf Frølich einen Blick in den Rückspiegel. Erinnerte sich an Veronikas leicht herablassendes Lächeln am Samstagmorgen. Jetzt war er ihr wirklich auf den Leib gerückt. Sie konnte nicht mehr bluffen, sich nicht mehr verstecken. Er hatte die Vollmacht, all ihre Geheimnisse zu erforschen, private Briefe zu lesen, Tagebücher, wenn sie welche hatte, ihren Medizinschrank zu durchsuchen und herauszufinden, welche kleinen Wehwehchen sie hatte, ihre kleinen Laster und schlechten Angewohnheiten kennenzulernen, ja sogar in ihrem Abfall durfte er wühlen. Er spürte, wie ein vibrierendes Machtgefühl seinen Körper in Spannung versetzte. Er wusste, er sollte sich eigentlich
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