Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reinen Herzens

Reinen Herzens

Titel: Reinen Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
Vom Netzwerk:
durchaus bewusst zu sein, aber von einer guten Sache könne man eben nicht genug haben. Irgendwann, hatte sie damals gedacht, würde ihm diese Eigenschaft zum Verhängnis werden. Nun, wie es aussah, war heute dieser Tag X. Ein wenig zwickte ihr Gewissen sie schon, immerhin hatte sie vor, seine Gutmütigkeit schamlos auszunutzen. Aber wahrscheinlich würde das Verschwinden des Kommissars gar nicht mit ihrem Besuch in Verbindung gebracht werden – wenn sie es schafften, allen Mitarbeitern aus dem Weg zu gehen. Wie gut, dass ausgerechnet heute die Weihnachtsfeier war. Besser hätten sie es nicht treffen können.
    Filipovský war ihr zur Tür vorausgeeilt und hielt sie auf. »Bitte sehen Sie sich um, Agáta – und verzeihen Sie meinen ungalanten Aufbruch, Sie wissen, die Belegschaft …«
    »Laufen Sie, Edvard, laufen Sie. Ich komme sicher bald wieder und melde mich vorher an.« Er war schon fast am Ende des Flurs und winkte ihr kurz zu. »Wiedersehen«, rief sie ihm hinterher. Das Einzige, was Edvard Filipovský noch mehr genoss als Lob und Aufmerksamkeit, war Reden zu halten. Da war er wahrhaftig in seinem Element. Sie wusste, er würde seine Belegschaft mindestens eine Stunde unterhalten – er war nicht nur ein begeisterter, sondern auch ein ausgezeichneter Redner. Und die Anekdoten, die er zu erzählen wusste, sprühten vor Witz und Intelligenz. Bestimmt würden alle, die irgend konnten, anwesend sein. Sie hatte also genug Zeit, und das Sanatorium war klein. Während sie dem Flur aus dem Verwaltungstrakt in den Teil des Gebäudes folgte, in dem sich die Patientenzimmer befanden, versuchte sie, sich den Grundriss des Hauses ins Gedächtnis zu rufen. Es war eine alte herrschaftliche Villa, fast ein Schlösschen. Sie erinnerte sich an ein damals unbenutztes kleines Treppenhaus, das zu einem meist unbenutzten Seiteneingang führte, der auf den kleinen Parkplatz neben dem Gebäude hinausging. Vielleicht hatten sie ja Glück.
    Keine fünf Minuten später stand sie in David Anděls Zimmer. Wie erhofft, war sie niemandem begegnet.
    »Wie schön, Sie wohlauf zu sehen, Herr Kommissar.« Sie stellte ihre große Handtasche auf dem Bett ab.
    »Sie können sich nicht vorstellen, wie froh ich bin, Sie zu sehen, Frau Abrhámová. Ich …«
    »Dafür ist nachher im Auto Zeit, mein Lieber. Jetzt ziehen Sie sich schnell um«, erwiderte sie und holte einen weißen Arztkittel und eine weiße Hose aus ihrer Tasche. »Ich hoffe, die Sachen passen Ihnen. Wir müssen uns beeilen.«

20
    Kdo se moc záhadně usmívá,
snaží se zakrýt nějákou pitomost.
    Wer allzu hintersinnig lächelt,
sucht eine Torheit zu verbergen.
    »Was kann ich für Sie tun, Frau Redakteurin?«
    Larissa saß im Büro von Inspektor Tomáš Marný, einem Mann mittleren Alters, der gerade versuchte, eine weitere Zigarette in einem bereits übervollen Aschenbecher auszudrücken. Larissa fühlte sich unangenehm an das Büro des Chefs der Bunkerverwaltung erinnert. Auch hier war alles im Wesentlichen beige und braun, nur der Mann war deutlich sympathischer als Myška damals – und er sah ihr ins Gesicht, während er mit ihr sprach.
    »Ich arbeite an einem Artikel über Prostitution in dieser Gegend«, sagte sie, ohne um den heißen Brei herumzureden, »und ich dachte, ich wende mich am Anfang meiner Recherchen am besten an diejenigen, die am meisten darüber wissen. Als erfahrener Inspektor können Sie mir sicher helfen.« Sie lächelte ihn charmant an. Ihrer bisherigen Erfahrung nach war es meist recht nützlich, einem Gesprächspartner ein wenig Honig um den Mund zu schmieren. Die meisten Menschen waren empfänglich für Anerkennung und Komplimente.
    Der Inspektor lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte mit einem Lächeln die Arme vor der Brust. »So, Sie interessieren sich also für das älteste Gewerbe der Welt. Nun, es gibt Prostitution hier – wie überall. Ich sehe nicht ganz, was das für einen Nachrichtenwert haben soll, Frau Redakteurin. Das ist nichts Neues. Prostitution gibt es hier seit der Revolution reichlich. Leider. Das ist eines der unangenehmen Dinge, die die Freiheit mit sich bringt. Was genau wollen Sie denn darüber wissen?«
    Seine ironische Zurückhaltung entging Larissa nicht. Mit fadenscheinigen Schmeicheleien würde sie vorsichtig sein müssen. Sie holte den Zeitungsartikel über die Kinderprostitution aus ihrer Tasche und legte ihn vor ihn auf den Schreibtisch. »Sie haben sicher recht, aber das hier ist nicht ganz das

Weitere Kostenlose Bücher