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Reinen Herzens

Reinen Herzens

Titel: Reinen Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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nenne? Unter uns Komplizen erscheint es mir passender. Dass ich Agáta heiße, wissen Sie ja.« Sie zwinkerte ihm zu und fuhr fort: »Sie wären überrascht, wie wenig Menschen auf das Äußere achten. Ihr Tod bei dieser Schießerei war in allen Zeitungen und im Fernsehen. Alle Welt glaubt, dass Sie ums Leben gekommen sind. Niemand wird auf die Idee kommen, dass der blonde, vollbärtige Brillenträger Martin Trojan der erschossene dunkelhaarige David Anděl sein könnte. – Oder haben Sie noch Verwandte in Franzensbad?«
    »Nur meine Eltern, aber die sind derzeit bei meiner Schwester in Australien.« Hoffentlich gelangte die Nachricht von seinem Tod nicht über irgendwelche wohlmeinenden Freunde zu seinen Eltern. Er verdrängte den Gedanken. »Wahrscheinlich haben Sie recht. Ich lasse es einfach auf mich zukommen. – Aber was wollen Sie eigentlich in Franzensbad? Fahren Sie zur Kur?« Ein anderer Grund fiel ihm nicht ein.
    »Nein. Kuren sind nichts für mich, dafür bin ich weder krank noch jung genug«, erwiderte sie. »In diesem hübschen Kurort werden doch, soviel ich weiß, vor allem ältere Herren mit Herzproblemen und junge Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch behandelt. Nein, ich fahre dorthin, weil ich mich für eine Woche in einem neuen Yoga-Zentrum angemeldet habe.«
    »Sie machen Yoga?«, fragte er erstaunt. Sie wirkte zwar weit jünger als fünfundachtzig, aber dies hätte er ihr dann doch nicht zugetraut.
    »Was glauben Sie, hält mich halbwegs jung und beweglich? Ich mache das schon fast mein ganzes Leben lang. Mein Vater begann es mich zu lehren, als ich gerade mal vier Jahre alt war. Ich war sehr krank damals. Yoga hat mich gerettet. Abgesehen von den gesundheitlichen Wohltaten hilft es, die Grenzen des Körpers zu überwinden.«
    »Das habe ich erst kürzlich in einem Buch gelesen. Ich zitiere frei: ›Das Ziel des Yoga ist es, die physischen Grenzen des Körpers zu überwinden. Aus dem gleichen Grund wurde der Hubschrauber erfunden.‹«
    Agáta lachte. »Ja, das kann man so sehen. Aber Hubschrauberfliegen ist wesentlich komplizierter – und beim Yoga droht schlimmstenfalls Muskelkater, kein Absturz. – Ich bilde mir ein, dass ich das auch kürzlich irgendwo gelesen habe, es will mir nur nicht einfallen.«
    »Das Buch heißt Messerwerfer . Eine Art Tagebuch in Fragmenten von einem anonymen Autor, der sich Solo Lovec nennt.«
    »Ach ja, natürlich … Dann haben Sie vielleicht auch diesen Satz noch in Erinnerung: › Tragická postava: Člověk neschopný pochopit své štěstí .‹ – ›Tragische Figur: einer, der sein Glück nicht fassen kann.‹«
    »Sie haben es gelesen?« Er kannte den Satz, den sie zitiert hatte. Er kannte fast das ganze Buch inzwischen auswendig. Vermutlich hatte er sich mit dieser für ihn so untypischen und ihn so irritierenden Melancholie bei Yvan Tzara angesteckt. Er sollte die Finger von diesem Buch lassen.
    »Nun, es liegt doch seit Monaten in allen Buchhandlungen aus, und ich kann um diese Art Geschäfte nur schwer einen Bogen machen. Ich habe es mir gekauft und hin und wieder ein bisschen darin gelesen. Ein bemerkenswertes Büchlein. Dieser Satz ist mir im Gedächtnis geblieben. Er ist so zutreffend, finden Sie nicht?«
    »Sie sehen mich als tragische Gestalt?«, fragte er, wobei er das Zitat wie selbstverständlich auf sich bezog. Bin ich unfähig, mein Glück zu begreifen, fragte er sich im Stillen. Aber welches Glück? »› Co to je za stupidní otázku, jestli je někdo šťastný? ‹ – ›Was für eine dumme Frage. Ob einer glücklich ist‹«, zitierte er leise. Fremd war gar kein Ausdruck, er fühlte sich, als stünde er neben sich, nein, neben einem bekannten Unbekannten. Was für ein Schwachsinn, dachte er irritiert, reiß dich endlich zusammen und hör auf mit diesem Quatsch.
    »Glück tritt in vielerlei Gestalt auf. Manchmal erkennt man es erst auf den zweiten oder dritten Blick. Ich hatte viel Glück in meinem Leben – trotz allem Unglück, das mir begegnet ist. Manchmal stellt sich selbst Unglück mit etwas Abstand als Glück heraus. Sie haben, denke ich, viel Glück gehabt. Sie leben – wie unglücklich auch immer das gewesen sein mag, was Ihnen widerfahren ist. Wenn das alles hier vorbei ist, werden Sie Ihr Glück erkennen können. Sie werden in Ihr Leben zurückkehren …«
    Er lachte bitter auf. »Sie sind eine große Idealistin, Agáta. Wie könnte ich das? Diese Sache macht gerade Menschen, die ich liebe, sehr unglücklich. Ich habe

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