Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
in Frankreich selbst. Was die Menschen dort zu Recht aufregt, auch wenn sie längst begriffen haben, dass die befreundeten Nachbarn nicht bereit sind, für Essen viel auszugeben. Es sei denn, es ist für ihren Hund (siehe unten).
Ausgerechnet das Volk, das so häufig wie kein anderes zu Ärzten rennt und damit simuliert, an einer gesunden Lebensweise interessiert zu sein, knausert, wenn es um die eigene Ernährung geht. „Aldisierung“ ist inzwischen ein feststehender Begriff für das Einkaufsverhalten der Deutschen, geläufige Synonyme sind „Lidlisierung“ und „Saturnisierung“. Wir sind doch nicht blöd und geben nur einen Pfennig, Verzeihung: Cent, zu viel aus!
Die alten Tante-Emma-Läden haben wir mit dieser Einstellung ausgerottet, allein Onkel Mohammed hält sich noch, weil dessen ganze Familie im Geschäft hilft. Supermärkte haben es schwer und freuen sich über Gewinnspannen im alleralleruntersten einstelligen Bereich wie Sebastian Vettel über den Weltmeistertitel in der Formel 1. Die Discounter schließlich sind dazu übergegangen, einige Produkte zum Einkaufspreis oder darunter anzubieten.
Man stelle sich diese Strategie als Mathematikaufgabe in der Schule vor: „Der Einzelhändler X kauft 100 Packungen Milch zum Preis von jeweils 40 Cents ein und verkauft sie für 19 Cents die Packung. Wie hoch ist sein Gewinn? Oder alternativ: Wann muss er seinen Laden schließen?“
Den ruinösen Preiskampf dürften am Ende nur die Discounterketten selbst überleben, die mit ihren Kampfpreisen nach und nach den kleineren Einzelhandel verdrängen. Die Eigentümer der Ketten werden dafür immer wohlhabender. Dass die Brüder Albrecht mit Aldi zu den reichsten Bewohnern dieses Landes wurden, war kein Zufall.
Sehr deutsch ist auch die Empörung über Lebensmittelskandale, die inzwischen beinahe monatlich die Verbraucher, also uns, erschüttern. Dioxin in Eiern, BSE in Kühen, vergammeltes Fleisch, blau angelaufener Mozzarella, geklebter Schinken, mit unheimlichen Bakterien verseuchte Rohkost: Die Horrormeldungen haben sich derart gehäuft, dass es im Mutterland des Eisbeins auf einmal schick wird, Vegetarier oder am besten gleich Veganer zu werden.
Die Schuld an Gammelfleisch und Co. wird bei skrupellosen Hühnermästern und verantwortungslosen Schweinezüchtern gesucht, was ja auch viel einfacher ist als kurz über einen möglichen Zusammenhang zwischen der Qualität von Lebensmitteln und dem Preis nachzudenken, den die Deutschen dafür zu zahlen bereit sind. Denn das würde einem in etwa so den Appetit verderben wie diese wiederkehrenden Geschichten von Kindern, die in Bangladesch oder Indien für deutsche Textildiscounter arbeiten. „Wenn wir das gewusst hätten“, stöhnen die Käufer dann auf, „wenn wir geahnt hätten, dass man die Jeans für 10 Euro und die Schuhe für 12 gar nicht anders produzieren kann, und in Deutschland schon gar nicht …“
Ja, was dann?
Geiz ist geil. Leider.
Das mach ich schnell selbst
Die „Geiz ist geil“-Mentalität korrespondiert mit der Liebe der Deutschen zu einem Phänomen, das ich nur zu gern „Do it yourself“ nennen würde, wenn ich nicht befürchten müsste, dass dann Herr Meier wieder einen Leserbrief schreibt.
Was ich sagen will, ist, dass 70 Prozent aller deutschen Männer Heimwerkertätigkeiten am liebsten selbst übernehmen. Mehr als die Hälfte, nämlich 54 Prozent, trauen sich im eigenen Haus größere Umbauten zu, immerhin noch 40 Prozent sogar welche im Bad. Und das Wichtigste: Drei Viertel geben niemals auf! [4]
Deshalb hat Deutschland pro Kopf der Einwohner doppelt so viele Quadratmeter Baumärkte wie England, wo die entsprechende Bewegung nun wirklich „Do it yourself“ heißt. Die OBIs, Praktikers und Hornbachs der Republik dürften neben Getränkemärkten die einzigen Einzelhandelsgeschäfte sein, in denen die Kundschaft mit großem Abstand männlich ist. Sonnabend sieht man sie hier alle, den talentierten Hobby-Heimwerker genauso wie den kostenbewussten Dilettanten. Wenn sich frau einmal gefragt haben sollte, warum deren Gesichter zwischen Dübeln, Tapeten und Teppichrollen so strahlen, ist hier die Antwort: Der Gedanke an einen Schlagbohrer erregt angeblich doppelt so viele Männer wie jener an den „Playboy“ – wenn man der entsprechenden Umfrage einer großen, selbstverständlich deutschen Baumarktkette glauben darf. [5]
Das tun wir einfach mal und sprechen mit Wonne von der Lust am Selbermachen, die sich wie ein roter
Weitere Kostenlose Bücher