Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Grundstandards widersprächen. Sollte in der Anrede zu allem Überfluss sein Name falsch geschrieben sein (Sehr geehrter Herr Müller-Hosenbein …), würde er das Schreiben/die E-Mail sofort wegwerfen.
Mein letzter Beschwerdebrief an einen großen internationalen Kofferhersteller ist wahrscheinlich an den dortigen Herrn Müller-Hohenstein gegangen. Auf nicht einmal anderthalb Seiten und in äußerst höflicher Form hatte ich mich darüber beklagt, dass innerhalb eines halben Jahres zwei sehr teure Koffer auf Reisen auseinandergebrochen seien.
Ich schilderte die Fälle liebevoll bis ins Detail („Sie können sich nicht vorstellen, wie schrecklich es ist, auf dem Gepäckband eines australischen Flughafens plötzlich einen weit aufgerissenen Koffer zu sehen und dann festzustellen, dass die dahinter kommenden Stringtangas der eigenen Frau gehören. Dabei war es unsere erste Reise mit diesem Koffer!“) und verlangte mit Nachdruck eine Entschuldigung, weil ich sonst, Zitat, „nie wieder einen Koffer bei Ihnen kaufen werde“.
Eine gute Stunde saß ich an dem Brief, bekam dafür ein dickes Lob von meiner Frau („Denen hast du es aber richtig gegeben!“), machte eine Kopie für meine Akten und schickte das Original per Einschreiben mit Rückschein an den Kofferhersteller.
Bis heute habe ich nichts gehört. Aber die Sache ist ja auch erst drei Jahre her.
Haben Sie Mangosaft?
Nun gibt es in Deutschland nicht nur deshalb so viele Beschwerden, weil die Deutschen sich so gern beschweren. Trotz aller Kundenorientierungs- und „Ab morgen sind wir freundlich zu denen, die unser Gehalt bezahlen“-Seminare hat sich wenig daran geändert, dass zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen eine der größten Wüsten der Welt liegt: die Servicewüste. Den kannten Sie wahrscheinlich schon, oder? Ist ein Kalauer aus dem vergangenen Jahrhundert, der noch nie lustig war, aber leider unverändert wahr ist.
Bis heute findet mehr als die Hälfte der Deutschen den Service in ihrem Land verbesserungswürdig bis mangelhaft. Dabei scheuen die Firmen vor keiner noch so absurden Methode zurück, um die genetisch bedingten Defizite ihrer Mitarbeiter in Sachen Freundlichkeit auszugleichen. „Von den Asiaten lernen heißt siegen lernen“, hieß es etwa bei der Bahn, die ihren Zugbegleitern mit Hilfe von Essstäbchen das Lächeln beibringen wollte. Das sah zumindest auf den Zeitungsfotos über die Seminare lustig aus: Die Damen und Herren hatten die Hölzchen im Mund und konnten gar nicht anders, als zu lachen – vielleicht auch über die Ideen ihrer Vorgesetzten. Aber ob das im Alltag wirklich hilft, in dem der durchschnittliche Bahnmitarbeiter entweder eine Trillerpfeife oder ein knappes „Die Fahrkarten bitte!“ im Mund führt? Immerhin: Kürzlich hat sich ein Kontrolleur erstmals bei mir bedankt, weil ich meine Fahrkarte und meine Bahncard schön griffbereit auf den Sitz neben mich gelegt hatte (in Wirklichkeit wollte ich damit nur den Platz freihalten). Vielleicht wird es ja doch noch was, und wir haben zu früh das Essstäbchen über die Schaffner gebrochen …
Ansonsten wird man als deutscher Kunde selbst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten allerorten das Gefühl nicht los, dass man, nun ja, stört. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich in der Lebensmittelabteilung einer großen Warenhauskette. Zugegeben – die von mir geplante Ausgabe war nicht dazu angetan, die finanziellen Probleme des Konzerns auf einen Schlag zu lösen, und die drohende Insolvenz ließ sich damit schon gar nicht abwenden. Trotzdem fand ich die Antwort, die ich auf meine kurze, eindeutige Frage bekam, ungewöhnlich. Vielleicht fiel sie so aus, weil ich die beiden Verkäuferinnen in einem Gespräch über eine bevorstehende Hochzeit im britischen Königshaus gestört hatte. Aber bilden Sie sich am besten selbst eine Meinung:
Kunde (also ich): „Entschuldigung, haben Sie vielleicht Mangosaft?“
Verkäuferin, gereizt guckend: „Wenn überhaupt, dann bei den Getränken.“
Wahrscheinlich bin ich einfach zu empfindlich.
Um wirklich in den Genuss von Serviceleistungen zu kommen, die in anderen Ländern selbstverständlich sind, müssen wir Deutschen in der Regel extra bezahlen. So wie meine Frau, die sich nach einem Bandscheibenvorfall auf Rat ihres Arztes bei einem Spezialanbieter eine neue Matratze bestellte. Da die nicht nur 1 500 Euro teuer, sondern auch zehn Kilo schwer und ansonsten ziemlich sperrig war, fragte meine Frau höflich nach, ob sie ihr
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