Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
unsere Oma. Kaum steigen die Temperaturen, kaum recken die ersten Pflanzen schüchtern ihre Köpfchen aus dem Boden, schon hält die alte Dame nichts mehr im Haus. Sie muss raus, in ihren Garten, der von seinen Ausmaßen den Vergleich mit einem Fußballplatz nicht scheuen muss, aber achtmal so gepflegt ist.
Während die Kinder und Enkelkinder bei einer schönen Tasse Kaffee und mehreren Stücken Herrentorte (die Oma schon in den frühen Morgenstunden gebacken hat) auf der sonnenbeschirmten Terrasse sitzen, robbt das älteste Mitglied der Familie auf Knien und mit einer uralten Hacke bewaffnet zwischen Büschen und Bäumen umher. Nur den Rasen muss einer von uns Jüngeren mähen, weil Oma Angst hat, dass die mächtige Maschine sie direkt in den nächsten Rosenstrauch ziehen könnte. Den Rest aber macht sie selbst.
Drei bis vier Stunden Gartenarbeit pro Tag sind bei unserer Oma in Hoch-Zeiten Pflicht, und eher verzichtet sie auf ihr Abendessen, als den Kampf gegen das Unkraut vorzeitig aufzugeben. Dass das so schnell nachwächst, dass sie am Ende einer Runde quasi wieder von vorn beginnen kann, stört sie nicht. Im Gegenteil: „Der Garten“, sagt sie immer, „ist mein Leben!“
Davon wollen wir Enkel ihr natürlich nichts wegnehmen. Nie kämen wir auf die Idee, Oma zu fragen, ob wir ihr bei der Pflege ihrer Mini-Ranch vielleicht helfen sollen. Denn erstens könnte sie das als Beleidigung und üble Anspielung auf ihr Alter („Dabei bin ich noch nicht mal 89!“) deuten. Zweitens besteht latent immer die Gefahr, dass sie ein Hilfsangebot annimmt („In die Pflaumen könntest ruhig du mal klettern, Yannik, ich komm da nicht mehr so gut hoch.“). Und drittens hat sich Oma trotz ihres Alters im Garten noch nie ernsthaft verletzt, und wenn, dann hat sie es nicht bemerkt. Wie neulich, als sie mit einer langen, blutenden Schramme im rechten Oberschenkel aus einem Busch auftauchte und wir sie nur mit Mühe davon überzeugen konnten, die Wunde wenigstens notdürftig zu verpflastern.
Dass so viel Gartenmut typisch deutsch ist, wage ich nicht zu behaupten. Die Liebe zum eigenen Grün, und sei es noch so klein(gärtnerisch), ist es auf jeden Fall. Um das zu erkennen, braucht man keine Umfragen, nach denen angeblich 21 Millionen Bundesbürgern beim Ackern im eigenen Garten sowohl Blumen als auch Herzen aufgehen.
Es reicht der Blick in die eigene Familie, in meinem Fall in jene meiner Frau. Der gehören nämlich nicht nur Omas oben beschriebene weitläufige Grünflächen, sondern auch ein Ferienhaus, das in einer Art Park liegt. Den könnte, nein, den sollte man professionell betreuen lassen, aber das widerspricht natürlich zwei anderen deutschen Tugenden: dem Hang zum Sparen und dem Hang zum Selbermachen. Beide führen im Ergebnis dazu, dass ich die schönen freien Wochenenden nicht faulenzend, sondern schwitzend im Garten unseres Ferienhauses verbringe.
Bereits bei meinem ersten Besuch dort teilten mich meine zukünftigen Schwiegereltern zum Efeu-Entfernen ein, eine Aktion, die auf Tage erdnussgroße Blasen an meinen Händen hinterließ. Es folgten ungezählte Einsätze zum Rasenmähen, Heckenschneiden, Unkrautzupfen und -vernichten und Maulwürfe-Ausräuchern. Das ganze Programm eben, unterstützt von einem wahnwitzigen Arsenal an Gartengeräten. Wenn ich nicht wüsste, dass mein Schwiegervater ein zutiefst liebenswürdiger und sanftmütiger Mensch ist, würde ich mir angesichts diverser Kettensägen und elektronischer Heckenscheren echte Sorgen machen.
So plagt mich nur die Frage, wie ich der Ferienhausgärtnerei entkommen kann, die meine Frau selbst im hochschwangeren Zustand als „so befriedigend wie keine Arbeit sonst auf der Welt“ empfindet. Übrigens reden wir hier von derselben Frau, die überlegt, ob unsere Perle nicht doch besser jede Woche statt nur alle 14 Tage kommen sollte, um unsere Wohnung sauber zu machen.
Jetzt muss ich aber zum Ende kommen. Beim letzten Heckenscherenmassaker habe ich mir eine mittelschwere Sehnenscheidenentzündung zugezogen, das Schreiben dieser Zeilen verursacht mir höllische Schmerzen. Ich wollte nur noch schnell berichten, dass das Einzige, was in unserem Ferienhausgarten fehlt, der obligatorische deutsche Gartenzwerg ist.
Wir haben dafür ein Holzschwein. Es ist mit Leuchttürmen, Strandkörben und Sonnenschirmen bemalt.
Früher war alles besser
Es ist an der Zeit, Ihnen von Herrn Müller-Hohensteins Lieblingssatz zu berichten. Was heißt hier „Satz“? Die vier
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