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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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Routinearbeit eines
     Gymnasiallehrers und dergleichen, daß du also die praktische Laufbahn beschreiten und die wirtschaftlichen Notwendigkeiten
     in Betracht ziehen mußt. Das nenne ich Pose. Denn auch du weißt ganz genau, daß es die wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht
     gibt. Das praktische Leben ist ein Mythos, ein Bluff, den jene erfunden haben, die unfähig sind, sich mit geistigen Dingen
     zu beschäftigen. Du aber hast zuviel Verstand, um ihnen auf den Leim zu gehen. Bei dir ist es nur eine Pose. Und jetzt ist
     es höchste Zeit, daß du sie aufgibst, daß du zurückkehrst, wohin du gehörst, zur Wissenschaft.«
    |166| »Und wovon soll ich leben?«
    »Ach Gott, das ist doch kein Problem. Du siehst ja, auch ich lebe von irgendwas.«
    »Ja, von deinem Salär an der Universität.«
    »Stimmt. Aber ich würde auch sonst überleben. Man braucht nicht viel auszugeben. Ich werde dich lehren, wie man von Tee und
     Salami lebt. Ist sehr gesund. Ihr wißt nicht, wie man spart, das ist das Problem.«
    »Aber Rudi, es gibt auch noch andere Probleme. Ich bin nicht sicher, daß mich die Wissenschaft so sehr befriedigen würde wie
     dich   … ich habe nicht die nötige Begeisterung   … ich vermag nicht so sehr an die Wichtigkeit dieser Dinge zu glauben   …«
    »Von was für Dingen redest du?«
    »Na eben von den Erkenntnissen der Religionsgeschichte. Was weiß ich, zum Beispiel denke ich manchmal, es spiele doch eigentlich
     keine Rolle, daß es gerade eine Wölfin war, die Romulus und Remus gesäugt hat   …«
    »Wie zum Teufel sollte das keine Rolle spielen, du bist ja nicht bei Trost. Nein, du posierst bloß. Doch genug geredet. Jetzt
     gehe ich nach Hause, arbeiten.«
    »Jetzt? Aber es ist doch schon Mitternacht vorbei.«
    »Ja, genau um diese Zeit kann ich arbeiten, um diese Zeit stört mich nichts, irgendwie kommen mir nicht einmal die Frauen
     in den Sinn. Ich arbeite bis morgens um vier, und dann renne ich eine Stunde lang.«
    »Was machst du?«
    »Rennen. Sonst könnte ich nicht schlafen. Ich gehe ans Tiberufer hinunter und renne dort auf und ab. Die Polizisten kennen
     mich schon und sagen nichts. Genau wie zu Hause. Also, komm. Unterwegs will ich dir erzählen, woran ich gerade arbeite. Was
     ganz Sensationelles. Erinnerst du dich an das Sophron-Fragment, das vor einiger Zeit zum Vorschein gekommen ist   …«
    Als der Bericht zu Ende war, hatten sie den Palazzo Falconieri erreicht.
    »Doch um auf das zurückzukommen, was du tun sollst«, sagte Waldheim plötzlich. »Nur der Anfang ist schwer. Weißt du was, |167| morgen stehe ich dir zuliebe etwas früher auf. Komm mich abholen, sagen wir um halb zwölf. Ich nehme dich in die Villa Giulia
     mit.Wetten, daß du noch nicht im Etruskermuseum gewesen bist, stimmt’s? Also, wenn dich dort die Lust nicht packt, den Faden
     wieder aufzunehmen, dann ist tatsächlich Hopfen und Malz verloren. Dann kannst du in die Fabrik deines Vaters zurückgehen.
     Na, sei gegrüßt.«
    Und er verschwand im dunklen Palazzo.

|168| 3
    Am nächsten Tag gingen sie tatsächlich in die Villa Giulia. Sie betrachteten die Grabmale, die Sarkophage, auf deren Deckeln
     die alten Etrusker fröhlich lebten, aßen, tranken, ihre Frauen umarmten und damit die etruskische Philosophie verkündeten,
     die sie zwar, weise wie sie waren, nie schriftlich festgehalten hatten, die aber den Gesichtern ihrer Statuen doch unmißverständlich
     eingeschrieben war: Nur der Augenblick zählt, und der schöne Augenblick ist unvergänglich.
    Waldheim zeigte auf breite Trinkgefäße, aus denen die alten Italier den Wein getrunken hatten, so wie es die Inschrift besagte:
Foied vinom pipafo, cra carefo.
    »Heute trinke ich Wein, morgen wird’s keinen geben«, übersetzte Waldheim. »Sag doch, läßt sich das dichter und wahrer formulieren?
     Dieser Satz, in seiner archaischen Großartigkeit, ist so endgültig, so unverrückbar wie die polygonalen Stadtmauern, die Kyklopenmauern.
Foied vinom pipafo, cra carefo.«
    In einem Glaskasten standen Statuengruppen: schläfrige Männer, die von Frauen geführt wurden, schläfrige Frauen, die von Satyren
     geführt oder geraubt wurden.
    »Was ist das?« fragte Mihály überrascht.
    »Das ist der Tod«, sagte Waldheim, und seine Stimme wurde auf einmal scharf, wie immer, wenn die Rede auf etwas ernstlich
     Wissenschaftliches kam.
    »Das ist der Tod; oder eher: das Sterben. Denn das ist nicht dasselbe. Diese Frauen, die die Männer entführen, diese Satyren,
    

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