Reise in die arabische Haut
Fasern. Mit sonorer Stimme beginnt sie, ihr Morgengebet zu verrichten. Mein Gott, wie soll ich mich jetzt noch auf die Fürbitte besinnen. Ich falte meine Hände und flüstere: »Merci Allah, du weißt schon wofür.« Fertig gehuldigt. Ich verlasse Walda und falle ins Reich der Träume.
Der heutige Tag ist weniger anstrengend. Angespannt warte ich auf die Diarrhoe, die nicht eintrifft. Demzufolge habe ich das abgefüllte Leitungswasser von Jadda gut vertragen. Außer putzen und schwitzen bietet mir dieser Tag keine Abwechslung. Abends sagt Walda: »Ghodwa nhar jedid.«
Morgen ist ein neuer Tag. Mal sehen, was er für Überraschungen bereithält.
Olivenhain
Am heutigen windigen Sonntag holt Sofienne seinen mülltonnengrauen Lieferwagen aus dem Schuppen. Jadda, Walda, Nayla, Shirin, Jamila und die Kinder warten ungeduldig am Straßenrand. Sollen wir alle in dem alten Kastenwagen Platz finden?
Als Sofienne die Seitentür aufschiebt, verschwindet Jadda blitzartig in den Stauraum. Nacheinander klettern Walda, Shirin, Jamila, Nayla und Latifa in das düstere Gefährt. Ich bin noch unschlüssig, ob ich mich auf diese unsichere Fahrt einlassen soll. Jadda winkt ungeduldig. Frustriert kraxele ich in das Wageninnere, das wegen Überfüllung an einen illegalen Flüchtlingstransporter erinnert. Sofienne und sein Sohn Mehdi sitzen im Frontbereich, was wesentlich angenehmer ist, als das Hocken auf Bauschutt im finsteren Transporterraum. Eingepfercht in der Familienmasse beunruhigt mich die Frage, wohin man uns verschleppt.
Nach zweieinhalb gesungenen Koran-Strophen halten wir auf unebenen Boden. Als Sofienne die Tür aufschiebt, blendet mich das grelle Sonnenlicht. Befinden wir uns jenseits der Grenze oder noch in der Sahelzone?
»Voilà«, ruft Jadda und zeigt mit ihrer Hand auf einen großen bepflanzten Acker mit einer riesigen Olivenplantage.
Der orientalische Garten wird von Kakteen inklusive grünroten Kaktusfeigen umrahmt. Schutz vor Dieben und wilden Tieren. Es ist Ben Amors Schrebergarten, von dem Khalid vielmals schwärmte.
Auf der Plantage ist ein schmaler Weg geebnet, der zu einem betonierten Gartenhaus führt. In diesem Häuschen stapeln sich Gartengeräte, Klappstühle und Decken.
Jadda schnappt sich einen Hocker und verschwindet auf Beobachtungsposten in die Prärie. Sie setzt sich inmitten des Feldes, um uns gezielt zu beobachten.
Langsam durchstreife ich die hochgezogenen Reihen, um Erbsenschoten zu pflücken, die ich selbstverständlich sogleich knacke. Einer muss schließlich prüfen, ob die Erbsen reif sind.
Zugegeben, als Erntehelfer erreiche ich in meinem Job keine Lorbeeren.
Meine relativ neuen Schuhe leiden unter der verstaubten Erde des afrikanischen Kontinents. Nach einigen Wochen Tunesien sehen sie aus, als wäre ich zehn Jahre mit ihnen durch die Wüste getrekkt.
Walda verfolgt mich mit grünen Mandeln, die ich sogleich koste. Ich schüttele verneinend den Kopf, als sie mir nochmals zwei Kerne in die Hand drückt. Zu bitter.
Jadda knabbert derweil genüsslich an den unreifen Mandeln. Ihr Schmatzen ist nicht zu überhören.
Sofienne spritzt die Apfelbäume mit Pestiziden, um etwaige Schädlinge abzuwehren. Wie war das nochmal? Alles Bio-Bio, was in Tunesien wächst?
Mehdi bringt mir einen kleinen, grünen Apfel. Er ist so unreif, dass er mir den ganzen Sonntag versauert.
Die Hälfte des Ackers gilt den Olivenbäumen, die gegenwärtig von Ali Baba beschnitten werden. Und ich dachte, Baba repariere in seiner Werkstatt Autos, dabei pflegt er seit den frühen Morgenstunden seine Bäume. Neben Ali steht ein Karren mit vorgespanntem Esel. Auf diesem Fuhrwerk stapelt er die abgeholzten Olivenzweige. Jamila berichtet, dass Baba sich dieses Gespann von seinem alten Vater ausgeliehen hat.
Zur Pause setzen wir uns auf den Boden. Jadda verteilt Mandeln, Erbsen und mickrige Erdbeeren zum Degustieren. Walda schält grüne Stangen, die dem deutschen Rhabarber ähneln. Difef. Entspannt knabbert sie an den Stäben. Verwundert schaue ich auf ihre Mimik, die nicht verrät, ob der tunesische Rhabarber süß, sauer oder bitter schmeckt. Sie gibt mir eine abgepellte Stange in die Hand. Schlimmer als der grüne Apfel kann die Frucht nicht schmecken. Vorsichtig taste ich mich mit meinen Lippen an das Grünzeug heran. Der tunesische Rhabarber mundet nach einer Mischung aus Unkraut und Mist. Nicht mein Geschmack
Entspannend verbringen wir den halben Tag auf der Plantage und sehen dem Wind zu, der die
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