Reise in die arabische Haut
In diesem Diagnostikraum hängt über der Tür ein Monitor. Er zeigt Bilder aus dem Warteflur. Es sind zwei neue Patienten hinzugekommen. Ich gehe davon aus, dass der Arzt mich beim Flirten beobachtet hat. Unangenehm. Nachher heißt es noch, ich wäre ein schlechter Umgang für Jamila.
Ich werde angehalten, mich auf der Untersuchungsliege auszustrecken. Ich befolge seine Anweisungen, denn für mein Antidepressivum ist mir kein Weg zu schwer.
Der Weißkittel schiebt mein rotes Samtkleid bis zur Brust hoch, untersucht und schallt meinen Bauch.
Jamila übersetzt die Worte des Arztes. Ich leide an vereiterten Mandeln und einer leichten Gastritis, wofür ich Medikamente benötige.
»And my Psychomedicine?«
»You get all«, beruhigt sie mich.
Der Spanner-Arzt füllt einen Zettel mit Medikamenten aus und entlässt mich aus seinem Spitzelzimmer.
Die Pillen gibt es in der Apotheke um die Ecke. Aufgrund meines Rezeptes erhalte ich Antibiotika für den Hals. Sonderbar, ich habe keine Halsschmerzen. Für meinen Magen bekomme ich Lansoprazole. Ich bin beruhigt, als mir die Apothekerin Amitriptylin auf den Tresen knallt. Meine Nerven sind gerettet. Darum zahle ich anstandslos den Vorzugspreis von vierundfünfzig Dinar.
Die Touristenstadt Sousse hat einiges mehr zu bieten als das kleine konventionelle Städtchen Beni Hassen. Allein das frischzubereitete Kokos-Eis vom Eiscafé »Piccolino« ist eine Versuchung wert. Jamila und ich verschnaufen am Strand, den vorwiegend Beznesser bevölkern. Jeder zweite Kerl quatscht uns an. Ich schimpfe: »Eb-alik.«
»Schandfleck«, maule ich auf Deutsch hinterher.
In Beni Hassen lebt es sich unbehelligter. Dort ist Bezness noch ein unbekanntes Wörtchen.
Hungrig warten wir eine Dreiviertelstunde auf den weißen, altertümlichen Linienbus. Zur Feierabendzeit drängeln sich Menschenmassen in das lange Ziehharmonikagefährt. Als wir uns durchgeboxt haben, ergattern wir keinen freien Sitzplatz mehr.
Der frische Brotgeruch, der aus den Plastiktüten strömt, wird vom Knoblauchgeruch übertönt. Kreuzkümmel und Fleisch verursachen in der Hitze einen üblen Geruch. Diese Empfindlichkeit geht nur von mir aus, denn die Menschen kichern und freuen sich auf einen freien Abend mit gehaltvollem Essen. Aus manchem Karton kommt ein helles Hühnchen-Gegacker, was mir heute relativ egal ist.
Ich bin rechtschaffend müde, als der Bus seine Endstation anfährt. Walda und Jadda strömen aus der Küche und brennen darauf, zu erfahren, was der Arzt diagnostiziert hat. Jamila bauscht die zwei besorgniserregenden Krankheiten langatmig auf. Ohne zu zaudern, verfrachtet mich Jadda sofort ins Bett und kredenzt mir heißen Minztee. Die mitfühlende Walda füttert mich löffelweise mit Hühnersuppe, die vom Mittagessen übrig geblieben ist. Ich fühle mich nicht krank, aber gegen Jadda und Walda besteht keine Chance, den Irrtum aufzuklären. Allmählich werde ich apathisch und lasse die gesundheitlichen Defizite gelten. Nachdem Walda mir die verordnete bittere Medizin eingetrichtert hat, singt mich Jadda mit moslemischen Liedern in den Schlaf.
Über Nacht gesunde ich sichtbar. Walda atmet auf, weil sie mich nicht länger pflegen muss.
Die Folter
Meine liebe Familie beschließt, dass es Zeit wird, die kühle Deutsche in eine warme Tunesierin umzukrempeln.
Der verhängnisvolle Frühlingstag fängt nahezu harmlos an. Ich helfe morgens im Kinderladen aus und stelle mich auf einen monotonen Verkaufshandel ein. Kunden kann man an einem Finger abzählen. Nachbarn kommen gern zum Schwätzchen vorbei, aber das bringt keine Kohle und außerdem ist es mir nicht möglich, die Gespräche zu verfolgen, was mich irre langweilt.
Walda, Shirin und ich sitzen im Schneidersitz auf dem Bettsofa und knabbern überdrüssig Sonnenblumenkerne. Nichts ahnend erwarte ich einen Tag, so öde wie der vorherige.
Abrupt wirft Shirin die Sonnenblumenschalen auf den Abfallberg, der sich in der hintersten Ecke der Geschäftsstelle angesammelt hat. Sie zieht ihr Kopftuch tiefer ins Gesicht und schubst mich nach draußen. Verwirrt lasse ich meinen Blick zu Walda schwingen. Diese sagt mit wegwerfender Handbewegung: »Go, go, go.«
Nachdem wir zwei Straßen überkreuzt haben, bremsen wir unsere Schritte vor einem winzigen Hexenhaus. Vor dem Portal hängt ein walnussbrauner Vorhang. An den Fensterscheiben baumeln cremeweiße, undurchsichtige Gardinen, wie sie in fast jedem Beni-Hassen-Haushalt zu sehen sind.
Ich zeichne ein Fragezeichen
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